Noch wirkt die „Strøget“ in Kopenhagen wie ausgestorben. Kaum ein Mensch befindet sich auf den Straßen, nur einige Lieferanten laden ihre Ware aus. In den nächsten Stunden wird sich das ändern, denn die Strøget ist mit 1,1 Kilometern eine der längsten und geschäftigsten Fußgängerzonen Europas.
Das Erwachen der Innenstadt beobachtet man am besten von einem der Cafés aus. Bei einem dänischen „Kaffe“ lassen sich die ersten Händler beim Öffnen der Rollläden beobachten, ein paar Anwohner, die ihre Hunde ausführen oder sich auf den Weg zur Arbeit machen. Dabei geht es ziemlich entspannt zu, die Dänen lassen sich nicht gerne hetzen. Warum auch? Mit einem „Farvel“ geht es aus dem Café auf die nun langsam gefüllte Einkaufsstraße. Sie führt vom Rathausplatz bis zum „Kongens Nytorv“. Der Name „Strøget“ stammt aus dem 19. Jahrhundert und bezeichnet keine Straße, sondern ein Netz an Straßen und Plätzen, die gemeinsam die Fußgängerzone bilden.
Das Schöne an kleineren Städten wie Kopenhagen ist, dass man sie gut zu Fuß erkunden kann. In Kopenhagen führen die Wege vorbei an prachtvollen Fassaden, idyllischen Plätzen und immer wieder zum Wasser. Vorbei am Bahnhof und dem alten Freizeitpark „Tivoli“ geht es zum ersten Ziel „Christiania“, einem umstrittenen Ort, den man in Kopenhagen dennoch nicht verpassen sollte.
Gelebte Utopie oder Ort für Kiffer-Touristen – Christiania
„Fristad Christiania“ – Seit 1971 gibt es in Christianshavn auf einem ehemaligen Militärgebiet das autonome Christiania. Der Freistaat entstand aus Protest: Zu teure Wohnungen machten das Leben in Kopenhagen zum Luxus. In Christiania schufen die Begründer alternative Wohnräume in den leerstehenden Gebäuden. Eine Utopie, die auf Freiheit und Gemeinsamkeit basiert inmitten der Stadt. Heute macht Christiania oft negative Schlagzeilen. Drogenhandel, Kriminalität und Touristenmassen haben mit den ursprünglichen Zielen der Hippies nicht mehr viel gemein.
Vieles entspricht aber auch heute noch dem Hippie-Klischee: Bunt angemalte Häuser, kleine Gartenbeete, Flohmarktstände mit Räucherstäbchen und Batikklamotten. Blumenläden reihen sich an Cafés und Restaurants, eine Skatehalle und ein Biergarten. Rundherum sind Wohnhäuser mit Gebets- und Peace-Flaggen.
Wer den „Green Light District“, auch „Pusher Street“ genannt, betritt, erlebt ein anderes Christiania. Mit Kapuzen und Tüchern vermummte Gestalten warten auf Kundschaft. Die Stimmung wirkt angespannt. Kleine Holzbuden, die mit Tarnnetzen abgehängt sind, säumen den Weg. „No pictures“ ist hier das oberste Gebot. Dealer verkaufen offen Marihuana, auch wenn sie dabei nicht erkannt werden wollen. Der Verkauf weicher Drogen ist in Christiania toleriert. Die Polizei führt trotzdem immer wieder Razzien durch, bei denen Drogen beschlagnahmt werden. Der Verkauf von Haschisch ist für die Bewohner weniger das Problem, die immer wieder ausbrechende Gewalt, allerdings schon. Die Pusher Street ist im Vergleich zur Gesamtfläche sehr klein und so kann man als Tourist den Bereich schnell hinter sich lassen.
Neben der Drogenkriminalität sind es die Touristenmassen, die einen Schatten auf diesen Ort werfen. Viele verwechseln Christiania mit einer Art Ballermann. Dass hier Menschen wohnen, wird dabei gerne vergessen. Doch nicht alle Besucher sind Partytouristen. An einem schönen sonnigen Tag treffen sich hier Musiker und bei einem kühlen Bier lässt es sich bei Reggae-Klängen ganz wunderbar entspannen.
Zum ökologischen Grundgedanken von Christiania gehört auch, dass hier keine Autos fahren dürfen. Ausgenommen von Lieferanten fährt man hier mit dem Fahrrad. Kein Wunder, dass hier die Erfindung eines ganz besonderen Rads ihren Lauf nahm. Das Christiania-Rad ist an einem Ort, an dem Autos tabu sind einfach praktisch. Wer Einkäufe transportieren, Umzüge machen oder Kinder abholen will, der braucht Stauraum und so entstand das praktische Lastenrad mit der Kiste an der Gabel. In Christiania, so kommt es einem vor, hat jeder das gleichnamige Rad zum Wohnort. Ein Statement!
Statements gibt es auch in der Küche. Die meisten Restaurant benutzen ausschließlich selbst angebaute Produkte oder zumindest welche, die regional und biologisch angebaut sind. In einem kleinen unscheinbaren Häuschen mit verwunschen Garten dominiert die riesige Küche, in der einige Mitarbeiter am Werkeln sind. Hinter eine Vitrine gibt es verschiedene Salate, auf der Karte stehen drei Tagesgerichte. Die Kunden sind eine bunte Mischung aus Touristen und Anwohnern, die gemeinsam an großen Holztischen sitzen und einträchtig ihre Suppen und Reisgerichte löffeln. Satt und zufrieden geht es nun wieder ins echte Kopenhagen, das mit „You are now entering the EU“ die Christianiabesucher auf ihrem Rückweg begrüßt.
Street Food: Essen auf der Papierinsel
Wer immer am Wasser entlang gen Norden läuft, der kommt irgendwann nach „Papirøen“, zur Papierinsel. Am Hafen befinden sich zwei ausgediente Lagerhallen, die heute statt Papier eine Reihe an Essensständen beherbergen. Ein Street-Food-Markt vom Feinsten! Es geht geschäftig zu in den Hallen. Jazz-Musik mischt sich mit Gesprächsfetzen und dem Klappern von Pfannen und Töpfen. Der Duft ist betörend, auch wenn er sich jeden Meter ändert. Mal duftet es nach süßem Schmalzgebäck, mal deftig nach gebratenem Fleisch oder gebackenem Fisch. Wer bis dahin noch keinen Hunger hatte, dem läuft spätestens jetzt das Wasser im Mund zusammen. Das einzige Problem: Wie soll man sich bei all der Auswahl entscheiden?
Zwischen April und September gibt es auf der Papierinsel täglich ab 12 Uhr eine riesige Auswahl an kleinen und größeren Snacks. Obligatorisch ist das heißgeliebte „Smørrebrød“ mit unterschiedlichen Brotsorten und kreativen Belägen. Quer durch alle Küchen gibt es Pulled Pork, Falafel, Bio-Burger, Austern, Panini oder Pancakes. Selbstredend, dass der Markt bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt ist. Auf den Treppenstufen an den Eingängen, an den Bierbänken in den Hallen und auf den Bänken am Bier drängen sich die Besucher, all mit dem zufriedenen Gesicht, der von einem gut gefüllten Bauch herrührt.
Nyhavn: Vom beschaulichen Hafen in die weite Welt
Denkt man an Kopenhagen, hat man bestimmte Bilder im Kopf: Bunte Häuser und Bote gehören zwingend dazu. Das Bild vom typischen Kopenhagen bekommt man am Nyhavn zu Gesicht. Am Kanal säumen bunte Häuser die mit Kopfsteinpflaster versehenen Straßen. Es gibt viele Bars und Kneipen, die früher von Seemännern frequentiert wurden. Heute tummeln sich zwar weniger Seeleute aber dennoch Gäste aus aller Welt in den Kneipen und Restaurants. Im Sommer sitzt man mit dem Carlsberg in der Hand am Ufer, lässt die Füße über dem Wasser baumeln und sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Straßenmusiker liefern den Soundtrack mit Hits aus aller Welt. Die Touristenboote schippern vorbei, in der Luft liegt der Geruch von Salz und Fisch, eine leichte Brise weht vom Meer heran.
Es gibt noch etwas, was stärker mit Kopenhagen verbunden ist als Boote und Smørrebrød: Die kleine Meerjungfrau. Für viele der Reisenden ist ein Besuch ohne Meerjungfrau nicht denkbar. Mit einem ausgedehnten Spaziergang durch den „Ørstedsparken“ läuft man immer am Wasser entlang, passiert die Festung und merkt anhand der steigenden Menschenmasse, dass es nicht mehr weit sein kann, bis man die berühmte Statue erreicht. An der Uferpromenade „Langelinie“ tummeln sich zu fast jeder Jahreszeit die Neugierigen, Busse halten am Straßenrand und spucken Menschen im Minutentakt aus – Alles wegen einer Geschichte des Märchenerzählers Hans Christian Andersen von 1837. Der Bierbrauer Carl Jacobsen, Besitzer der Carlsberg Brauerei und Kunstmäzen war es, der die Figur bei Bildhauer Edvard Eriksen in Auftrag gab.
Jetzt sitzt sie auf einem Stein und schaut in die Ferne, die kleine Meerjungfrau, die so gerne als Mensch leben wollte und dafür ihre schöne Stimme einbüßte. Sie sieht kleiner aus, als man es sich vorstellte und, ganz passend zu ihrer Geschichte, sehr traurig. Eine traurige Geschichte hat auch die Bronzefigur selbst. Immer wieder wurde sie beschädigt oder zerstört: Mal wurde ihr ein Bikini aufgemalt, mal Farbe übergeschüttet, sogar enthauptet wurde sie, was sie auf das Titelbild der New York Times brachte. Dann fehlte ein Arm und 2003 wurde sie gänzlich vom Stein gesprengt. Doch immer wieder wurde sie restauriert und sitzt auch heute wieder mit dem melancholischen Blick aufs Meer, umringt von posierenden Touristen mit Selfiestangen.
Auch wenn es der kleinen Meerjungfrau, dem Wahrzeichen der Stadt nicht immer gut erging – Für seine Bewohner ist Kopenhagen die schönste Stadt der Welt. Schon mehrfach wurde die dänische Hauptstadt als „Lebenswerteste Stadt der Welt“ ausgezeichnet.
Es ist nicht nur die Architektur mit Schlössern, Bürgerhäusern und Rokokoviertel, sondern auch die vielen Grünflächen und saubere Natur mitten in der Stadt, sogar im Hafen kann man baden! Dazu kommt das abwechslungsreiche Kulturprogramm und die Fahrradfreundlichkeit, ganze 400 km ist das Radwegnetz lang. Als Besucher bekommt man das zu spüren, selbst wenn man nur kurz da ist. Es ist die entspannte Art der Bewohner, die immer ein Lächeln auf den Lippen haben, die Lust an gutem Essen und der Sinn für die Natur, was Kopenhagen und seine Bewohner so angenehm macht.
Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphoto – Sean Pavone
Meerjungfrau: © Depositphoto – Giovanni Gagliardi
Fenster Wand: © Julia Schattauer
See: © Julia Schattauer
Stadthaus: © Julia Schattauer
Buntes Haus: © Julia Schattauer
Schild: © Julia Schattauer