In der Kolumne „Meine ReiseZutaten“ philosophieren wir über Gott und die Reisewelt. Welche guten Zutaten braucht eine Reise? Was versalzt uns gerne mal die Reise-Suppe? Und wann denken wir: „Wer bitteschön hat denn DAS bestellt?“ In Folge 12 dreht sich alles ums Fernweh.
Meine ReiseZutaten (12): Fernweh
Boah, diese Schweinehunde! Überall lachen sie mir entgegen, mit ihren Sonnenbrillen, T-Shirts, Surfbrettern, Stellplätzen am Meer. Grüßen von ihrer Fahrradtour, schnippeln Tomatensalate in der Sonne. Im Januar! In Europa! Während hier in Bayern der Schneeregen ans Fenster klatscht.
Ich glaub, es hackt!
Ich bin kurz davor, Facebook zu kündigen. Oder zumindest Herrn Zuckerberg zu schreiben, dass diese Art von Provokation tunlichst zu unterlassen sei.
Meine Lieblings-Schlagzeile: „Facebook verbietet Fotos vom Überwintern in Südeuropa!“
Ich kann, nein, ich will es nicht mehr sehen. Ist denn überhaupt im Winter noch irgend jemand in Deutschland – außer Finanzbeamten und Schneeräumern? Gefühlt die Hälfte der Leute, die ich kenne, belagert Südostasien, die andere Hälfte lungert in Südfrankreich, Spanien oder Portugal am Meer herum.
Wo bleiben denn die deutschen Tugenden? Überall nur noch Warmbader, die nicht mal mehr einen Winter in der Heimat aushalten? Oder ist das eine Genmutation? Halten sich die Menschen inzwischen für Zugvögel, die sich im November verabschieden und frühestens im März zurückkehren dürfen?
Was, ich soll mal runterkommen? Mich beruhigen? Ja okay: Aus diesen Zeilen spricht der blanke Neid.
Denn ich will auch ans Meer. JETZT! SOFORT! WEG! Wenn ich nicht bald wieder auf Strecke darf, drehe ich durch.
Saudumm, wenn diese Art von Fernweh auch noch hausgemacht ist. Vertraglich geregelt sozusagen. Die Hauptdarsteller: eine Saisonplakette mit Fahrverbot von Dezember bis März und eine Scheune, in der das geliebte Reisemobil abgestellt ist. Sauber eingeparkt. Dritte Reihe von hinten. Zweiter Wagen von links. Aus diesem Gefängnis, äh Winterquartier, kommt nichts und niemand vor dem Frühjahr raus.
Also das gängige Alternativprogramm zur Fernweh-Bekämpfung: neue Stellplatz-Apps installieren, bequemeren Campingstuhl suchen, sich auf Reisemessen herumtreiben und Bilder früherer Abenteuer anschauen.
Weitere Alternative: den Winter zuhause genießen. Ich hab’s diesmal wirklich probiert. Schneeschuhtouren, Langlaufen, ausgedehnte Spaziergänge, Schneemann bauen, Nachbarn mit Schneebällen bewerfen, Eis essen. Alles ganz nett, alles okay.
Aber nichts, überhaupt nichts gegen das Gefühl, am Meer aufzuwachen, unterwegs zu sein, Freiheit zu spüren. Mit jedem Kilometer Abstand zu Verpflichtungen und Terminen zu bekommen, zu Nachbarschaftsgezänk und Katastrophen-Gebrabbel allerorten.
Ich meine, sollen die Portugiesen in ihrem Supermarkt gerne über bevorstehende Katastrophen reden: Ich verstehe sie wenigstens nicht.
Das ist für mich Fernweh: die Sehnsucht nach dem vereinfachten Leben, nach der reduzierten Komplexität, das sich nicht kümmern müssen um so viel Zeug, weil so wenige Dinge schon für ein geiles Leben völlig ausreichen. Die Sehnsucht nach Überraschungen, neuen Begegnungen, kulinarischen Entdeckungen.
Fernweh ist eine großartige Triebfeder. Spornt an, schafft Platz für Träume, erzeugt große, bunte Bilder.
Der Vorteil: Es kann so einfach geheilt werden. Für den einen durch den Flug nach Neuseeland, für den anderen mit dem Motorrad-Trip ans Nordkap, für den Dritten reicht schon der Ausflug von der Pfalz an den Bodensee.
Jeder bekommt seine Fernweh-Medizin in der passenden Dosis.
Der Nachteil: Es wird ein Leben lang Symptombekämpfung bleiben. Selbst wer schon in der Ferne ist, wird sich nach einem anderen Ort in der anderen Ferne sehnen.
Was ich persönlich aus dem letzten Winter gelernt habe? Schluss mit dem Saisonkennzeichen und im November ab in den Süden! Wie ein Zugvogel.
Und dann auf Facebook schön fleißig Strandfotos und Stellplätze im Sonnenuntergang posten. An den Tagen mit Sturm und Regen halte ich die Füße schön still. Soll ja keiner merken, dass auch in der Ferne nicht immer alles so dolle ist …
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