Das Bild hat sich eingeprägt: Angela Merkel und Sigmar Gabriel in ihren knallroten Anoraks, gemeinsam durch die Arktis bei Grönland schippernd. Wie Polarforscher sahen die beiden Spitzenpolitiker auf ihrer Fahrt durch die Eisberge im Jahr 2007 aus – und das Bild war sicher gewollt. Denn das Signal sollte lauten: „Schaut her, wir kümmern uns um die Folgen des Klimawandels! Wir wollen genau wissen, was es mit der Eisschmelze auf sich hat.“ Unter diesem Gesichtspunkt laufen auch Expeditionskreuzfahrten.
Vor Ort sollen die abenteuerlustigen und kältebeständigen Touristen live die Folgen des Klimawandels anschauen. Sie können quasi den Eisbergen beim Schmelzen und den Eisbären beim Wegsterben zuschauen. Dabei werden sie ganz im Sinne von Studienreisen mit jeder Menge Informationen gefüttert. Landgänge und spezielle Ausflüge inklusive.
Geht es um Wissen oder Umweltkatastrophen-Tourismus?
Doch geht es den Reisenden überhaupt um das Wissen um den Klimawandel? Oder handelt es sich um nichts anderes als Umweltkatastrophen-Tourismus, wie Kritiker anmerken? Nochmal persönlich in einer Welt vorbeischauen, die es wegen der Erderwärmung ziemlich sicher bald nicht mehr geben wird. Eine Vergnügungsreise unter dem Deckmantel der Betroffenheit.
Natürlich geht es auf Expeditionskreuzfahrten wesentlich ruhiger zu als beispielsweise einem Mittelmeertrip mit der Aida. Da nervt nicht die ganztägige Vergnügungsmaschinerie, locken keine Kasinos, Kinos, Swimmingpools, Frisöre und überdrehte Animateure.
Das Sehen, Staunen und Natur erleben steht klar im Mittelpunkt – ob in der Arktis, der Antarktis, rund um Grönland, Island oder Kanada. Wer an einer Expeditionskreuzfahrt teilnimmt, will die Erhabenheit und Mächtigkeit der kältesten Regionen am eigenen Leib spüren. Will Fotos von Motiven machen, an die sonst kaum jemand so nahe hinkommt. Und will auf Landgängen erleben, wie man sich in solchen Zonen fortbewegt.
So ist es leicht, nach außen hin eine ernste Miene zu tragen: „Hach ist das schlimm mit dem Klimawandel. Kann man da nichts dagegen tun?“. Doch das ehrliche Eingeständnis in Bezug auf das Ziel dieser Vergnügungsreise dürfte wohl eher sein: „Ich war einer der Letzten, die noch Eisbären gesehen haben. Da werden meine Enkel staunen, wenn ich ihnen Fotos von Grönland zeige, als es noch schneebedeckt war.“
Die besten Expeditionskreuzfahrten sind keine Expeditionskreuzfahrten
Und so buchen die Klimawandel-Touristen weiter fleißig ihre Touren. Dass sie dafür gerne mal fünfstellige Beträge hinlegen müssen – kein Problem. Ein Foto vom letzten Eisberg ist das allemal wert. Expeditionskreuzfahrten boomen deshalb. Selbst wenn das nur eine sehr kleine Nische mit begrenztem Wachstumsmarkt ist – allein schon aufgrund der viel kleineren Schiffe, die dort unterwegs sein dürfen -, hinterlässt das Interesse an der Polarregion Spuren. Dummerweise in der Polarregion selbst.
Denn Betroffenheit über den Klimawandel durch eine Expeditionskreuzfahrt auszudrücken ist ähnlich konsequent, wie auf einem Langstreckenflug über Folgen des Flugverkehrs für die CO2-Emissionen zu jammern. Die zerbrechlichsten Regionen der Erde werden durch die arktischen Studienreisen noch zerbrechlicher. Laut Studien trägt jedes einzelne Schiff zu einem zweiprozentigen Anstieg der klimaschädlichen Emissionen bei.
Da nutzt es auch nicht viel, dass der sonstige Einfluss von Expeditionskreuzfahrten laut Gutachten als relativ umweltfreundlich eingestuft wird: ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein von Besatzung und Gästen, konkrete Handlungsanweisungen der Expeditionsteams (Forscher/Wissenschaftler) für die Reisenden, kleine Schiffe – beim Marktführer Hurtigruten mit maximal 650 Betten – und vor allem: kein Verfeuern von Schweröl. Das ist bei Expeditionskreuzfahrten in Arktis und Antarktis ausdrücklich verboten. Alle Schiffe müssen dort mit Diesel fahren.
Die normale Kreuzfahrt verfeuert fleißig Schweröl
Das ist bei den restlichen Kreuzfahrtschiffen nicht der Fall. So zeigt das NABU-Kreuzfahrt-Ranking 2016: Sämtliche Schiffe verfeuern weiterhin Schweröl. Das führe zu einer massiven Umwelt- und Gesundheitsbelastung. Somit sei auf keinem einzigen europäischen Kreuzfahrtschiff unter diesen Gesichtspunkten eine Reise uneingeschränkt empfehlenswert.
Die Hauptkritik der Umweltschützer: Es gebe eindeutige Studienergebnisse, etwa der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach Schiffsabgase Krebs erregend sind und die besonders herz- und lungenschädigenden Rußpartikel noch mehrere Hundert Kilometer weit ins Landesinnere geweht werden können. Doch die Kreuzfahrtbranche ignoriere diese – unter den gnädigen Augen der Politik – weiterhin.
Oder was noch schlimmer ist: Technische Lösungen zur Emissionsminderung, wie Partikelfilter oder Katalysatoren, sind schon lange ausgereift. Sie werden nur aus Profitgründen nicht eingesetzt. Nicht einmal die Möglichkeit, Landstrom zu beziehen, beispielsweise im Hamburger Hafen, wird bei entsprechenden technischen Voraussetzungen des Schiffes genutzt. Stattdessen laufen die Motoren weiter und verpesten die Luft.
So stehen die Menschen jubelnd an der Elbe und feiern die monströsen Schiffe bei ihrem Einlauf. Dabei ahnen sie in dem Moment nicht einmal, was die Riesen der Meere aus gesundheitlicher Sicht anrichten. Denn laut der Studie stammen 38 Prozent der Stickoxide und 19 Prozent des Feinstaubs in Hamburg aus der Belastung durch die Seeschifffahrt.
Verglichen damit, sind Expeditionskreuzfahrten fast schon umweltfreundlich. Also dann, wenn man „fast“ als Synonym für „ist schlimm, aber nicht ganz so schlimm“ wählt.
Jeder, dem wirklich viel an der Umwelt liegt, wird angesichts der Fakten wohl eh lieber zu Hause bleiben und zum Wandern gehen. Da leidet niemand drunter – außer vielleicht ein paar Gänseblümchen, denen der Wanderer auf den Kopf tritt.