Kolumne: An Italiens Stränden übrig geblieben

In der Kolumne „Meine ReiseZutaten“ philosophieren wir über Gott und die Reisewelt. Welche guten Zutaten braucht eine Reise? Was versalzt uns gerne mal die Reise-Suppe? Und wann denken wir: „Wer bitteschön hat denn DAS bestellt?“ In Folge 16 dreht sich alles um den September.

Meine ReiseZutaten (16): September

Ja was ist denn hier los? Wieso packen sie denn alle? Schwupps, und schon herrscht gähnende Leere, wo noch Tage zuvor der Partybär steppte.

Sie sind weg, weg und wir sind wieder allein, allein. Schon die Fanta 4 wussten, wie sich der Moment plötzlicher und überraschender Einsamkeit anfühlt. Übrig bleiben nur noch vereinzelte Ausländer auf Campingplätzen, in den Hotels und Strandbars.

Ich liebe das alljährliche Spektakel an Italiens Küsten. Der Auszug aus dem gelobten Land. Das per Abbau des Vorzelts und mehrtägigen Aufräum- und Packaktionen erklärte Ende des Sommers.

Anfang September! Wenn italienische Kinder wieder in der Schule sind und die Erwachsenen zurück in ihren Büros, dann darf sich kein Einheimischer außerhalb der Wochenenden mehr am Strand vergnügen. Es scheint ein Geheim-Dekret zu geben, das die Sommerfrische abrupt beendet. War ja schließlich genug Zeit von Anfang Juni bis Ende August.

Und so zerlegen die Rentner, die definitiv nicht mehr in die Schule oder an einen Arbeitsplatz müssen, im Gleichtakt ihre Sommerbehausungen.

Der verdutzte und nicht gerade sonnenverwöhnte Mitteleuropäer beobachtet das Treiben einerseits belustigt. Und ist andererseits irritiert.

Ja spinnen die eigentlich, die Italiener?

Die Sonne lacht zärtlich bei 25 Grad, das Meer ist kuschelig warm, nachts sinken die Temperaturen endlich in den schlafbaren Bereich – und die fahren alle nach Hause???

Ist das genetisch veranlagt? Wer hat das befohlen? Wie kommen denn alle auf das schmale Brett, ausgerechnet jetzt in ihre kleinen und dunklen Stadtwohnungen zurückzukehren, anstatt die beste Zeit des Sommers zu genießen?

Ja, richtig gelesen: Die beste Zeit.

Der September ist der Lamborghini unter den Reisemonaten in Südeuropa. Nur dass sich die Kosten im Verhältnis zu den Monaten zuvor auf Fiat-500-Niveau bewegen.

Keine Hitzewellen und Waldbrände mehr, Platz an den Stränden, Platz in den Städten, Platz in den Restaurants. Perfekt zum Baden. Perfekt zum Wandern. Perfekt für Städtetourismus.

Schluss mit dem Animations-Geplärre der Hauptsaison, nervtötendem Jahrmarkt überall. Anfang September beginnt die himmlische Ruhe.

Doch warum flüchten die Einheimischen gerade jetzt? Sind sie nach drei Monaten Hitze, Kampf um die  Strandliegen und Rund-um-die-Uhr-Getöse so erschöpft, dass ihnen die Kraft für einen Nachschlag fehlt? So, wie wenn man sich eine überdimensionale Schweinshaxe reingepfiffen hat und unter keinen Umständen der Welt mehr das hauchzarte Mousse au Chocolat zum Dessert schafft?

Doch ist der September wirklich so idyllisch? Kehrt tatsächlich überall Ruhe ein?

Nein, ein kleines Strandcafe am Lago di Bolsena nahe Montefiascone zeigt sich wehrhaft und lässt sich den Sommer nicht so einfach wegnehmen. Was spricht auch gegen eine allwöchentliche Karaoke- und Dance-Party in unmittelbarer Nachbarschaft zum nächsten Campingplatz? Schließlich werden die Menschen dort bei satten Bässen und rund 100 Dezibel sanft in den Schlaf gewiegt. Also falls sie die besten Ohrstöpsel der Welt drin haben.

Falls ich je geglaubt hatte, ein Auftritt von mir nachts um 1.30 Uhr als Partycrasher in blauen Boxershorts und rosa Schlafshirt würde nachhaltigen Eindruck hinterlassen, bin ich jetzt bekehrt. Meine Rolle als Aushilfspolizist und Sittenwächter wurde mit einem müden Lächeln und dem Verweis auf mangelnde Sprachkenntnisse beiseite gewischt.

Nachdem der letzte Betrunkene um 3.30 Uhr von dannen getorkelt war, wusste ich: Einen Italiener im Feierlauf hält weder Nachtruhe noch deutscher Touri auf.

Nicht mal im September.