Plötzlich steht er da: Das rote Fell, das in alle Richtungen vom Kopf steht, schimmert in den vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach scheinen. Es ist noch ein junges Tier, das Fell an den Armen ist noch kurz, die Statur schmächtig. Ein halbstarker Orang-Utan, der interessiert die Reisegruppe mustert und prüft, ob vielleicht eine Banane für ihn abspringt.
Obwohl das Füttern der Affen nicht gerne gesehen ist, weiß er ganz genau, dass immer mal wieder ein Leckerbissen wartet. Die Guides nutzen den Appetit der Affen, um sie anzulocken. Je mehr Touristen ihren Weg in den Urwald um Bukit Lawang finden, desto größer wird der Druck, die Stars von Sumatra den Besuchern zu präsentieren.
Schließlich nehmen diese einige Strapazen auf sich, um die letzten freilebenden Orang-Utans in ihrer natürlichen Umgebung sehen zu können. Einen Menschenaffen in freier Wildbahn sehen, das ist etwas andere, als im Zoo. Die Gelegenheit dazu wird leider immer rarer.
Ein Dorf lebt vom Orang-Utan-Tourismus
Von China über Thailand nach Vietnam und Java: So weit reichte einst das Verbreitungsgebiet der Orang-Utans. Heute gibt es die größten noch lebenden Baumsäugetiere nur noch auf Borneo und Sumatra. Circa 5000 bis 6000 von ihnen tummeln sich in Nordsumatra in der Region Bukit Lawang im Gunung-Leuser-Nationalpark.
Ein ganzes Dorf lebt vom Geschäft mit den Tieren und den Touristen, die die „Waldmenschen“ – so die Übersetzung des Wortes Orang-Utan – aus der Nähe sehen wollen. Unterkünfte, Tourguides, Restaurants: ohne die Affen wäre in Bukit Lawang nicht viel los.
Die Bewohner von Bukit Lawang und die Affen im Nationalpark sind aufeinander angewiesen. Die Tiere sorgen für Touristen, der Tourismus schützt den Lebensraum der Tiere.
Denn für die Affen sind weniger die Touristen eine Bedrohung. Es sind vor allem die Palmenplantagen, denen jährlich große Teile des Dschungel zum Opfer fallen und die den Lebensraum der Tiere ständig verkleinern.
Rund einen Quadratkilometer Regenwald braucht ein Orang-Utan im Schnitt, um ausreichend Nahrung zu bekommen. Das wird bei der ständigen Rodung zunehmend schwierig.
Nicht nur der Verlust ihres Lebensraumes gefährdet die Affen, auch Wilderei und Tierhandel sorgen für zahlreiche Verluste, obwohl die Menschenaffen streng geschützt sind.
Hinzu kommt, dass Orang-Utans die niedrigste Geburtenrate aller Säugetiere haben. Eine Mutter bekommt nur rund alle sieben Jahre Nachwuchs. Die Affenpopulation wächst nur langsam.
Affentourismus in Bukit Lawang als Segen für die gebeutelte Region
Rund drei Stunden dauert die Anreise von Medan, der Hauptstadt von Nordsumatra. Die Fahrt führt vorbei an Palmölplantagen, Kautschukbäumen und endet im 700-Seelen-Dörfchen direkt am Fluss. Der Tourismus ist für die Bewohner ein Segen. Als 2003 eine Überschwemmung den Großteil des Dorfes in Wassermassen ertränkte, viele Menschen ihr Leben ließen und nahezu alle touristische Infrastruktur zerstörte, blieb der Tourismus als einzige Hoffnung.
Der Anfang des Affentourismus führt weiter zurück. Er geht mit Schutzmaßnahmen einher und lässt sich auf das Jahr 1973 datieren. In diesem Jahr wurde die Orang-Utan-Rehabilitationsstation in Bukit Lawang eröffnet.
Ein neues Gesetz verbot das Töten, Fangen, Handeln und Halten der Tiere. Alle als Haustier gehaltenen Affen sollten nun wieder ausgewildert werden.
Darum kümmerte sich das Zentrum. Bis vor einigen Jahren konnten Touristen die Fütterung der halbwilden Affen in der Station beobachten. Heute sind alle Affen wieder in ihrem natürlichen Lebensraum. Man muss sich schon in den Dschungel wagen, um die Affen mit ihren wilden Frisuren beim Turnen sehen zu können.
Doch die Chancen, die Orang-Utans zu Gesicht zu bekommen, sind gut. Die Affen sind zwar Einzelgänger, aber neugierig. Erfahrene Guides wissen genau, wo sich ihre Schützlinge gerne aufhalten. Mal sind es Muttertiere mit ihren Babys, mal ältere Männchen, die bis zu 90 Kilo auf die Wage bringen können und mit ihren langen Armen eine Spannweite von über zwei Metern erreichen.
Abenteuer Regenwald: Im Lebensraum der Primaten
Der Guide legt die Hände an seinen Mund, holt Luft und ruft „Uh, uh, uh“. Das laute Brüllen ahmt die Geräusche der Primaten nach. Wenn die Tiere antworten, dauert es meist nicht lange, bis sich eines von ihnen zeigt.
Es raschelt hoch oben in den Wipfeln der riesigen Bäume. Hier oben in den Kronen verbringen Orang-Utans Tag und Nacht. Dort fressen und spielen sie und bauen jeden Abend ihr Schlafnest. Herunter kommen sie nur, um Nahrung zu suchen oder neugierig die Touristengruppen zu beäugen.
Mina, der affige Toruristenschreck im Dschungel
Ohne Scheu lassen sich die Tiere von den Menschen fotografieren und ziehen dann wieder ihrer Wege. Es sei denn es ist Mina. Fast jeder, der auf Affenschau durch die Wälder im Norden Sumatras zieht, hat schon einmal von ihr gehört.
Mina ist einer der Affen, die als Haustier gehalten wurden. Mina hat bei ihren Besitzern keine guten Erfahrungen gemacht. Kein Wunder, dass sie nicht gut auf Menschen zu sprechen ist. Die rund 40-jährige Orang-Utan-Dame hat eine Vorliebe dafür Touristen zu erschrecken und zu ängstigen.
Es kommt vor, dass sie plötzlich auftaucht und jemanden bei der Hand schnappt. Dann lässt sie nicht mehr los. In diesem Fall hilft nur noch Bestechung: Je nach Laune ist es eine Banane, die die Affendame überzeugt, manchmal braucht es mehr, um ihre Beute weder gehen zu lassen.
Mina ist so etwas wie das kleine Schreckgespenst von Bukit Lawang und hat es sogar in ein Lied geschafft, das die Guides gerne mit den Touristen singen. So heißt es: „Jungle trek, jungle trek in Bukit Lawang. See the monkeys, see the Mina, everybody run.” Wenn es also heißt: „Mina ist da“, dann nimmt man besser die Füße in die Hand und rennt.
Nein, Mina ist nicht das netteste Exemplar unter den Orang-Utans. Trotzdem gelten die Tiere als liebevoll, zutraulich und intelligent.
Auch wenn sie Einzelgänger sind, tauschen Partner und Mütter mit ihren Kinder gerne Zärtlichkeiten aus. Sie küssen sich, schmusen und kümmern sich liebevoll um das Wohlergehen ihrer Liebsten.
Beeindruckend ist ihr Wissen: Sie können Schmerzen lindern, indem sie entsprechende Pflanzen gegen Migräne oder Fieber zu sich nehmen. Um die tausend Pflanzen können sie dabei unterscheiden. Sie benutzen Werkzeuge und kennen ihr Revier von rund 300 Hektar wie ihre Westentasche.
Touristenbespaßung oder nachhaltiger Naturtourismus: Wohin geht die Reise?
Es wird langsam dunkel zwischen den Baumstämmen und den Farnen, die übertrieben groß wirken – im Vergleich zu den europäischen Gewächsen. Im Regenwald, wo auch tagsüber nur wenig Licht den Boden erreicht, ist die Nacht finsterer als anderswo.
Die Reisegruppe, die nun schon seit sechs Stunden durch die Wälder streift, macht sich bereit für die Nacht in der Wildnis. Weil tagsüber die Affen die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wird man erst in der Dämmerung empfänglich für die Geräusche des Waldes.
Überall zirpt und zischt und raschelt es. Der Gedanke an Spinnen, Skorpione und Schlangen lässt so manchem die Schweißtropfen auf der Stirn perlen. Mit geübten Handgriffen errichten die Guides ein Lager aus Planen und Matratzen.
Ein wenig Salz, das um das Lager gestreut wird soll die Krabbeltiere weghalten. Ob es hilft? Schaden kann es ja nicht.
Ein Lagerfeuer sorgt nicht nur für Abenteuerromantik, es sorgt auch für das Abendessen. Bei Gemüse, Hähnchen und dem Prasseln des Feuers geht ein ereignisreicher Tag zu Ende. Ein paar Kartentricks zur allgemeinen Erheiterung und dann ab ins Bett.
Die Natur so groß, der Mensch so klein
Morgen wartet noch ein sportliches Programm mit Wildwasserrafting auf die Gruppe. Die Gedanken an die Insekten und Reptilien werden mehr oder weniger erfolgreich in die Verbannung geschickt. Irgendwann siegt die Müdigkeit.
Wer einmal mitten im Dschungel geschlafen hat, der weiß um die Intensität der Natur. All die Geräusche, der Geruch. Man spürt die Natur mit allen Sinnen und fühlt sich als Mensch so klein.
Am nächsten Morgen geht es mit Instantkaffee und Katzenwäsche quer durch den Dschungel zum Fluss. Das Rafting ist Teil der Touristenbespaßung. Action und Abenteuer nehmen bei den Touren einen immer größeren Stellenwert ein. Je mehr Programm, desto mehr Touristen kommen.
Die Zeit wird zeigen, was Bukit Lawang aus seiner zweiten Chance macht. Verantwortungsbewusster Naturtourismus mit einzigartigen Tierbegegnungen oder Outdoor-Spaß für die Massen? Man kann nur hoffen, dass dieser einzigartige Lebensraum nicht doch noch vom Tourismus überrannt wird.
Welche Tour ist die richtige? Welcher Tourguide der beste?
Dschungeltouren gibt es von Halbtagestouren bis hin zu 14 Tage. Am beliebtesten sind Zwei- bis Dreitagestouren mit Übernachtung im Regenwald.
Man sollte beachten, dass die Touren durch den Urwald anstrengend sind. Es geht steil nach oben und unten – und das bei schwülen 40 Grad. Mehr als drei Tage werden dann zum echten Abenteuer- und Ausdauertrip.
Jedes Gästehaus und jedes Restaurant vermittelt Touren. Am Ende werden die Touristen meist zufällig auf verschiedene Guides aufgeteilt. Es ist als schwierig herauszufinden, welcher Guide am Ende die Tour übernimmt.
Wer nicht wahllos buchen möchte, der informiert sich im Internet. Dort gibt es eine große Auswahl an zertifizierten Guides, nach denen man dann vor Ort fragen kann. Ein guter Anhaltspunkt sind Erfahrungswerte und Bewertungen von anderen Touristen bei einschlägigen Plattformen.
Preislich gibt es kaum Unterschiede. Eine Zweitagestour kostet um die 70 Euro.
Nützliche Infos zu Bukit Lawang
Anreise
Bukit Lawang liegt rund 90 Kilometer von Medan entfernt, wo es einen internationalen Flughafen gibt. Von Medan aus fahren öffentliche Minibuse oder Taxis.
Unterkunft
Von günstigen Hostels über freundliche Gästehäuser bis hin zu hochwertigen Eco-Lodges gibt es in Bukit Lawang alles. Die Preise beginnen bei günstigen vier Euro. Hier findet jeder die passende Unterkunft.
Infos im Web: Wikitravel
Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphotos/Andrey Gudkov
Orang-Utan auf Baum: © Depositphotos/Tayfun Sertan Yaman
Dorf Bukit Lawang: © Depositphotos/Zdenek Ryzner
Affenmutter mit Kind: © Depositphotos/Eugene Sim
Hängender Orang-Utan: © Depositphotos/Anatolii Aleksieiev
Lichtung Dschungel: Julia Schattauer
Urwald von oben: © Depositphotos/Andrzej Rostek