Slow Food Genussreise Deutschland

Slow Food Genussreise durch Deutschland: Auf den Spuren authentischer Heimatküche

Über die Philosophie von Slow Food ließe sich stundenlang reden. Einfacher geht es in drei Sätzen. Von keinem Geringeren als dem Chef selbst. Das sagt Carlo Petrini, der die internationale Organisation für genussvolles, bewusstes und regionales Essen 1986 gegründet hat:

„Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir gerne die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeitet und gekocht haben.“

Petrini ist internationaler Präsident der Vereinigung Slow Food, der inzwischen über 100.000 Mitglieder in mehr als 150 Nationen angehören. Die allesamt von einer Sache überzeugt und begeistert sind: Essen, das gut schmeckt, aus der Region stammt sowie sauber und fair hergestellt wird.

Slow Food ist politisch. Schließlich ist die Frage, wie unsere Lebensmittel produziert werden, eins der zentralen Zukunftsthemen.

Und Slow Food ist vor allem eins: der Genuss unverfälschter, leckerer, authentischer Heimatküche. Ohne Reue, da die Gäste wissen, was bei ihnen auf den Tellern landet.

Auf der Jagd nach Genuss, nicht nach Sehenswürdigkeiten

Doch wie soll der kulinarisch interessierte Reisende mit Vorliebe für Slow Food solche besonderen Lokale finden, die nach diesen Grundsätzen arbeiten?

Italien-Freunde haben es schon seit über 20 Jahren vergleichsweise einfach: das Buch „Osterie d’Italia“ kaufen und dann ab in den Süden mit dem eigenen Wagen. Testen, schmecken, überraschen lassen.

Eine Tour, nicht geleitet von den wichtigsten Sehenswürdigkeiten, sondern von den interessantesten 1700 Gasthäusern des Landes. Wo wird die ursprüngliche regionale Küche zelebriert? In welcher Osteria, Trattoria oder Enoteca locken die größten Genüsse?

Wer so reist, wird öfter einmal nach abenteuerlicher halbstündiger Anfahrt plötzlich in einem winzigen Bergdorf landen, in dessen engen Gassen einen die Einheimischen interessiert mustern. Und die auch gerne erklären, wo sich denn das kleine Gasthaus versteckt hat. In dem La Mamma voller Stolz die selbst gemachte Pasta mit dem fantastischen Ragù herausträgt und einem jedes Detail haarklein erklärt – ob man des Italienischen mächtig ist oder nicht.

Regionale Gasthäuser als Kompass

Zurück in heimischen Landen dann oft der Wunsch: Könnten wir nicht auch bei einer Reise in Deutschland die besten regionalen Gasthäuser als Kompass zu haben? Ohne mühseliges Recherchieren im Vorfeld oder langes Herumfragen am Urlaubsort. Einfach geballte Infos, schnell griffbereit.

2014 ging der Wunsch für hiesige Slow-Food-Fans in Erfüllung. Der Slow Food Genussführer Deutschland kam zum ersten Mal heraus.

Brotzeit: Käse, Wurst und Bier aus der Region
Ein Brotzeit-Traum: Käse, Wurst und Bier aus der Region und handwerklich hergestellt.

Ein Wagnis in einem Land, das sich nicht gerade auf breiter Front verdächtig macht, zu viel Zeit, Geld und Interesse den Themen „artgerechte Tierhaltung, unverfälschter Genuss und sauber produzierte regionale Spezialitäten“ zu widmen.

Allzu oft entscheiden die Größe der Schnitzel und der darunter liegenden Bratkartoffel-Masse in den Augen der Wirtshausgäste über die Qualität.

„Mei, war des guat“, sagt zum Beispiel der Bayer beim Heimgehen und meint damit meist: „So voll gefressen war ich schon lange nicht mehr.“

Doch zum Glück gibt es im Land von Leberkäs Hawaii, Putenschnitzel Asia und paniertem Schollenfilet mit Kartoffelsalat immer mehr Menschen, denen die Standardabfütterung nicht mehr reicht. Die keine Lust mehr darauf haben – ob zu Hause oder auf Reisen -, den schalen Einheitsbrei zu vertilgen, der auf gefühlt 80 Prozent aller Speisekarten zu finden ist.

Weil entweder der Chef keinerlei Lust hat, in vernünftige, saisonale und regionale Lebensmittel zu investieren. Oder nicht kochen kann. Oder beides.

Die Invasion der Neugierigen

Doch plötzlich tauchen sie auch in Deutschland überall auf, diese Neugierigen. Die doch glatt wissen wollen: „Wo habt ihr euer Fleisch her? Wer backt euer Brot und wie? Warum gibt es hier kein Bier der Region zu trinken? Und kocht ihr eigentlich mit Geschmacksverstärker?“

Menschen, die noch echte Nähe zu dem Essen spüren wollen, das sie gleich auf dem Teller haben werden. Denen es nicht egal ist, ob der Fisch aus einer hormonverseuchten Zucht in Südostasien oder vom benachbarten Fischer stammt.

Slow Food – Schweinsbraten in den Herrmannsorfer Landwerkstätten
Wo kommt der Schweinsbraten her? In diesem Fall aus den Herrmannsorfer Landwerkstätten.

Die sich nicht sattsehen können an Speisekarten, auf denen jeder einzelne Lieferant aufgelistet ist. Und die sich stets aufs Neue von kulinarischen Traditionen der jeweiligen Reisegegend überraschen lassen.

Genießer, die eine riesige Wertschätzung für die Arbeit ambitionierter Produzenten haben. Die sich durch das Essen und Trinken mit Natur und Umwelt verbunden fühlen.

Deshalb gehen sie mit dem neuesten Slow-Food-Genussführer 2017/2018 – die dritten Auflage und mit 608 Seiten noch deutlich umfangreicher als seien Vorgänger – auf Reisen. Und nicht mit einem Edelgastronomie-Guide, der von Schäumchen auf Krönchen an Schnicki-Schnackichen berichtet.

Der Slow-Food-Reisende benötigt keinen Firlefanz. Er will ehrliche, saubere Heimatküche.

Ein Sonntagsbraten mit Spätzle braucht keine Balsamico-Tupfer am Tellerrand.

Es reicht, wenn er so gut schmeckt, wie sonst nirgendwo anders.

Wohin soll die Slow-Food-Reise gehen?

Doch wo starten und wo aufhören, wenn Deutschland so groß ist und der Genussführer 502 Wirtshäuser, Restaurants, Weinstuben und Fischkaten auflistet?

Zwei Varianten sind zu empfehlen: entweder besondere Gasthäuser direkt als Reiseziel auszusuchen und weitere Aktivitäten sowie Unterkünfte drum herum zu legen. Oder bei schon fest stehenden Reisen in eine bestimmte Ecke Deutschlands einfach mal auf kulinarische Slow-Food-Streifzüge gehen.

Zum Beispiel bei einem Aufenthalt in München. Der ließe sich wunderbar mit einem Ausflug an den herrlichen Chiemsee kombinieren. Und was liegt ziemlich genau in der Mitte der beiden Touristenziele?

Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn, ein absoluter Slow-Food- und Bio-Vorzeigebetrieb.

Das Wirtshaus zum Schweinsbräu in Glonn

Fast alles, was hier auf der Speisekarte steht, kommt aus der direkten Umgebung. Ein ökologischer Kreislauf par excellence.

Herrmannsorf ist das Zentrum eines Netzwerkes von über 100 ökologisch wirtschaftenden Partnerbauern und Herstellern in der Region. Es gibt eine unmittelbare Nähe zwischen dem Ort, wo Tiere und Pflanzen wachsen und der Herrmannsdorfer Metzgerei, Käserei, Bäckerei und Brauerei, wo sie verarbeitet und vermarktet werden.

Die Liebe zu den Lebensmitteln kann man sehen, fühlen und natürlich schmecken. Ein Wirtshaus der kürzesten Wege.

Küchenchef Ole Euler muss für seine Zutaten nicht auf den Lastwagen des Großhandels warten. Er bekommt sein Fleisch und die Wurst, Käse und Brot im selben Gebäude. Die Gärtnerei fürs frische Gemüse ist nur wenige Meter entfernt.

Lebensmittel in höchster Bio-Qualität mit Sinn, Verstand und Leidenschaft erzeugt: Das hat der Gast hier auf dem Teller. Der Schweinebraten vom knusprigen Wammerl und Halsgrat sucht seinesgleichen weit und breit.

Fleisch-Gourmets können abends ein besonderes Stück vom Schwein, Rind oder Kalb aus dem Reifeschrank wählen, das dort wochenlang Zeit bekam, seine leckerste Konsistenz zu erreichen.

Auch Innereien wie Kutteln, Zunge, Lüngerl oder Kalbskopf stehen immer wieder auf der Speisekarte. Ganz nach dem Slow Food Motto, dass alles vom Tier verwertet wird.

Gastraum des Herrmannsdorfer Wirtshauses
So lässt es sich genießen. Der helle, offene Gastraum des Herrmannsdorfer Wirtshauses.

Doch nicht nur das Essen ist eine Show. Der Gastraum ist es auch und lässt mit seiner behaglichen und zugleich modernen Atmosphäre alle Gerichte noch besser schmecken.

Ein großer, heller, offener Raum im Obergeschoss der alten Scheune mit freigelegten Balken. Dazu der imposante Anblick meterhoher, kupferner Braubottiche und die Möglichkeit, das Treiben in der offenen Wirtshausküche zu beobachten.

Und nicht zu vergessen die erste bayrische Wurstbar mit Delikatessen wie Fenchelsalami, Bäckchenpresssack, Bauernschwarze, Szegedi, Chorizo, Lardo und Coppa.

Wer einmal hinter die Kulissen von Herrmannsdorf schauen und noch mehr Geschichten über Anbau und Philosophie erfahren will, kann von November bis März 14-tägig an einer Führung teilnehmen. Von April bis Oktober gibt es jeden Samstag eine Führung.

Braugasthof Dolden Mädel in Berlin

Von Bayern geht es ab in die Hauptstadt. Ja, Berlin hat kulinarisch tatsächlich noch mehr zu bieten als Currywurst, Döner und Berliner Weiße mit Schuss.

Bei einem Besuch ist für Slow-Food-Freunde ein Abstecher ins Braugasthaus Dolden Mädel schon fast Pflicht. Dort werden zwei große Trends vereint: der zur einfachen Alltagskost mit besten Zutaten und dem handwerklich gebrauten Craft Beer.

Bier aus dem Zapfhahn, Dolden Mädel in Berlin
Ganz im Zeichen des handwerklichen Bieres steht das Dolden Mädel in Berlin.

Zum Start gibt’s gleich mal ein „volles Brett“. Zumindest für die Neugierigen, die noch nicht so viel Erfahrung mit Craft Beer gesammelt haben und sich der Materie langsam annähern wollen.

Für die stellt das Team eine Probierauswahl von fünf 0,1 Gläsern zusammen. Wer bis dato außer Pils, Hellem und Weizen nicht viel anderes Bier kennengelernt hat, wird staunen, was im Rahmen des Reinheitsgebots für unterschiedliche und extrem spannende Biere gebraut werden können.

Dort die heftige Zitrusnote, hier ein Bier mit starkem Karamell-Geschmack. Mal schmeckt es blumig, mal nach Haselnuss, mal nach Kakao.

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und sich bei 20 Fassbieren und 75 Flaschenbieren mal so richtig durchprobieren will, sollte vielleicht erst einmal eine Unterlage schaffen.

Geboten wird zünftige Hausmannskost mit besten Zutaten regionaler Erzeuger, fast alles aus Bio-Herstellung. Die hausgemachte Bulette darf genauso wenig fehlen wie der Kreuzberg Burger, passend zum Stadtviertel und die belegte Stulle. Das Pulled Pork vom Bio-Freilandschwein – 12 Stunden geräucherte Schweineschulter – ist einfach nur ein Gedicht.

Slow Food Genussreise Dolden Mädel
Der Gastraum des Dolden Mädel: Hier lässt es sich auf ein paar Craft Beer aushalten.

Aber Berlin wäre nicht Berlin, wenn nur Fleischfreunde in dem neuen Gasthaus – das Dolden Mädel wurde im Herbst 2015 eröffnet – auf ihre Kosten kommen würden. Auch für Vegetarier und Veganer stehen leckere Alternativen und Bier-Begleiter auf der Speisekarte.

Hier werden Hopfen, Hefe, Malz und Mamas Küche zelebriert. Eine perfekte Kombination im Gastraum mit modern-urigen Charme.

Walfischhaus Born am Darß

In Born am Darß endet unsere kleine Slow-Food-Reise. Ein ehemaliges Fischerdorf am Bodden, nur wenige Kilometer von der Ostsee entfernt.

Am idyllischen Boddenhafen liegt das Walfischhaus. Ein denkmalwürdiges altes Kapitänshaus, das mit viel Liebe im skandinavischen Stil restauriert wurde.

Ideal zur Einkehr nach einem Badetag am Meer oder einer Radtour am Bodden entlang. Wer an einem sonnigen Tag draußen sitzt, kann die bezaubernde Atmosphäre dieses ruhigen Ortes auf sich wirken und den Blick über die Boote Richtung Wasser schweifen lassen.

Doch was nutzt der schönste Ausblick, wenn auf der Speisekarte nur langweiliger Einheitsbrei steht? Die Gefahr besteht hier nicht.

Die Küche passt sich dem gesamten Ambiente nahtlos an.

Saisonal inspirierte Köstlichkeiten landen auf den Tellern. Mit saftigem Fleisch aus nahe gelegener biologischer Landwirtschaft und frischem Fisch aus dem Bodden und der Ostsee. Auch Vegetarier bekommen bunte, kreative Gerichte.

Ein nachhaltiges Konzept zum Wohl von Mensch und Natur, das man schmeckt.

Was bitteschön sind Nonnenfürzle?

Auf einer Slow-Food-Genussreise durch Deutschland lässt sich natürlich noch viel, viel mehr entdecken. Und staunen über so manche regionale Spezialitäten.

Was bitteschön sind Bibliskäs, Flöns, Gröstl, Getzen, Holsteiner Mehlbüddel, Kriecherl, Nonnenfürzle, Primtjes, Stupperle, Teltower Rübchen und Zwetschgenbames?

Ein Tipp: Entweder erklären lassen oder im Slow Food Genussführer 2017/2018 nachblättern. Dort werden im „ABC der regionalen Spezialitäten“ die lokalen Köstlichkeiten erklärt.

Oder am besten erst einmal vorurteilsfrei probieren. Und dann genießen …

Bildnachweis: 
Titelbild: Herrmannsdorfer Landwerkstätten
Brotzeitplatte: Dolden Mädel Berlin
Schweinebraten/Gastraum Schweinsbräu: Herrmannsdorfer Landwerkstätten/ViviD’Angelo
Zapfhahn/Gastraum Dolden Mädel: Dolden Mädel Berlin