Lichter, egal, wohin man blickt. Es ist mitten in der Nacht und Hunderte von Kerzen tauchen den Friedhof in flackerndes Licht. Von allen Seiten hört man Stimmen, doch sie murmeln keine leisen Worte. Sie lachen und singen, der Wind weht Gitarrenklänge und Weihrauchschwaden heran und Kinder tanzen um die mit Blumen und Girlanden geschmückten Grabsteine. Wir befinden uns auf keiner verspäteten Halloween-Feier. Es ist die letzte Nacht des Día de los Muertos, dem mexikanischen Tag der Toten und einem der außergewöhnlichsten Volksfeste der Welt.
Día de los Muertos: Ein Volksfest zum Ehren der Toten
In der Nacht zum 2. November strömen in ganz Mexiko die Familien zu den Friedhöfen und den Gräbern ihrer Verwandten, denn in dieser Nacht halten sie Nachtwache und verabschieden die Toten bis zum nächsten Jahr. Mit Opfergaben wie Brot, Salz, Zigarren und Tequila wird am Grab gepicknickt und die gemeinsame Zeit genossen.
Bereits seit dem 31. Oktober laufen jährlich die Vorbereitungen für das Fest und alles wird für den Besuch der Toten hergerichtet. In den ersten beiden Novembertagen kommen nämlich die Toten, das glauben zumindest die Mexikaner. Das Leben endet nicht mit dem Tod, die Seelen der Verstorbenen befinden sich an einem jenseitigen Ort und kommen einmal im Jahr zu Besuch ins Diesseits.
Dann wird gefeiert, gegessen und getrunken und alles vorab so hergerichtet, dass sich die Geister der Verstorben auch wohlfühlen. Was makaber klingt, ist in Mexiko langer Brauch und seit 2003 Teil des immateriellen Weltkulturerbes.
Der Día de los Muertos ist ein Volksfest, das sich aus verschiedenen Kulturen gebildet hat. Der Tag, an dem die Toten ins Reich der Leben zurückkommen, fiel im Kalender der Azteken auf einen Tag Ende Juli. Durch die spanischen Priester verlagerte sich das Fest auf die christlichen Feiertage Allerheiligen und Allerseelen Anfang November, was wiederum auf die Zeit fällt, wenn die indigenen Völker ihre Maisernte feiern. Europäischer Glaube, Totenkult und Erntedankrituale vermischten sich mit der Zeit zu einem einzigartigen Volksfest und einem wichtigen Teil der mexikanischen Identität.
Zwischen Pappmaché-Skeletten und Marzipan-Särgen
Auch wenn es optische Parallelen gibt, Día de los Muertos ist kein mexikanisches Halloween, es geht um die Erinnerung an die Verstorbenen, nicht um Klamauk. Um der Verstorben zu gedenken, werden nicht nur Wohnungen und Gräber herausgeputzt und geschmückt, auch die Straße und Plätze der Stadt werden dekoriert. Je prunkvoller, desto besser. Denn je größer und ausgelassener das Fest, desto beliebter war der Verstorbene zu seinen Lebzeiten.
Riesige Altäre werden auf dem Marktplatz aufgebaut und mit buntem Krepppapier geschmückt, Skelette aus Pappmarché zieren den Straßenrand. Allen voran das Maskottchen der Totentage, die Skelettdame „La Catrina“. Die von Künstler José Gudalupe Posada geschaffene Figur ist mit ihrem schicken Kleid und überdimensionalen Hut das Vorzeigeskelett des Volksfeste geworden.
Beim Schmuck spielen die vier Elemente eine Rolle. Früchte symbolisieren das Element Erde, dünne Scherenschnitte aus Seidenpapier flattern im Wind und stehen für die Luft, Gefäße mit Wasser stillen den Durst der Toten. Das Element Feuer zeigt sich in den vielen Kerzen, die den Verstorben den Weg aus den Jenseits leuchten.
Und was natürlich nicht fehlen darf, ist die Verkleidung: Die Gesichter werden mit Totenkopfbemalungen versehen, die Köpfe mit ausladenden Blumengestecke verziert und an den Körper kommen nur die schönsten Kleider und besten Anzüge. Durch die Straßen ziehen Musikanten, es wird getanzt und gelacht. Totengedenken, das sieht in Mexiko anders aus als in Europa. Statt betretener Mienen und Flüsterton geht es hier ausgelassen und fröhlich zu. Schließlich will man, dass die Toten ihren Spaß haben.
Zu ausgiebigen Feiern darf das passende Essen nicht fehlen. Nach dem Motto: „Fürs unsere Lieben nur das Beste“ wird groß aufgetischt und dazu gehören allerlei Leckereien, die sich ganz dem Motto angepasst haben: Totenköpfe, wohin das Auge reicht. Dazu gehören auf jedes Buffet das traditionelle süße Totenbrot in Knochenform namens Pan de Muerto, kleine Zuckertotenköpfe, die Lieblingsnascherei der Kinder, und Särge und Skelette aus Marzipan. Und wer so viel isst, der muss die Verdauung mit einem Schluck Tequila anregen, das versteht sich in Mexiko ganz von alleine.
Wenn Hollywood Totentag feiert
Der Tag der Toten ist ein Fest, das sich so nur in Mexiko etablieren konnte. In Europa gibt es nichts Vergleichbares. Seit einigen Jahren werden die mexikanischen Feierlichkeiten allerdings immer bekannter, auch über die Grenzen hinaus. Wer kennt nicht die gruselig schönen Totenmasken in den Gesichtern der Frauen?
Das Fest wird bekannter und mittlerweile auch in den USA gefeiert. Spätestens seit Daniel Craig sich im James-Bond-Film „Spectre“ eine wilde Verfolgungsjagd mitten durch die Parade zu den Feierlichkeiten des Día de los Muertos in Mexiko-City lieferte. Das Interessante: Eine große Parade zum Volksfest gab es bis dahin allerdings gar nicht in der Hauptstadt. Doch nachdem der Film ein Millionenpublikum erreichte und das Interesse an mexikanischen Totentag größer wurde, beschloss die Stadt kurzerhand eine Parade ganz im Stil des Filmes einzuführen. Man wolle die Aufmerksamkeit durch den Film nutzen, um die mexikanischen Traditionen in die Welt zu bringen, heißt es von Seiten der Veranstalter.
Ob es nicht vielleicht die Dollars der zusätzlichen Touristen sind, sei dahin gestellt. Zu hoffen ist, dass der Día de los Muertos seinen Charme behält und der Tag der Toten nicht zum Halloween-Ableger wird.
Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphotos.com/Oksana Byelikova
Altar: © Depositphotos.com/Antonio Gonzalez Cuesta
Umzug Figuren: © Depositphotos.com/Andrea Izzotti
Umzug Massen: © Depositphotos.com/Oksana Byelikova
Skelette Hollywood: © Depositphotos.com/Jose Roberto Rodrigues dos Santos