In Lissabon treffen Gegensätze aufeinander: An der einen Ecke glanzvolle Schmuckfassaden, an der anderen heruntergekommene Ruinen. Moderne Großstadt einerseits und die ständige Erinnerung an die glanzvolle Vergangenheit andererseits.
Lissabon scheint manchmal hin- und hergerissen zwischen Nostalgie und Aufbruch, aber das hat seinen Charme. Dieser Zustand zwischen Melancholie und Lebensfreude, Verlust und Neubeginn manifestiert sich ganz besonders im Fado. Die traditionelle Musik, die am Abend aus den Bars dringt, perfektioniert das Gefühl der „Saudade“, das sich so schwierig übersetzen lässt und so typisch für die portugiesische Stimmungslage ist.
Die weiße Stadt auf sieben Hügeln: Wer zum ersten Mal in Lissabon ist, dem fällt zunächst die Lage auf. Lissabon wurde, ähnlich wie Rom, auf sieben Hügeln erbaut. Was zum einen eine wunderschöne Stadtlage mit pittoresken Tälern mit sich bringt, heißt zum anderen: Es ist steil!
Ständig geht es aufwärts, nur damit es in der nächsten Straße wieder steil bergab geht. Doch die Lissabonner wissen sich zu helfen: In die Höhenlage bringen sie nicht nur städtische Aufzüge, sondern auch eine Straßenbahn im Stil der Cable Cars in San Francisco. Und wäre das nicht amerikanisch genug, schmückt die Skyline der Stadt die Eisenbrücke „Ponte de 25 Abril“, die der Golden Gate Bridge verdächtig ähnelt. Hier am Ende Europas scheint der amerikanische Kontinent zum Greifen nah.
Vor den Toren von Lissabon: Belém
Die Lage am Rande Europas machte die Portugiesen zu Weltentdeckern. Wer sich aus dem Zentrum zu den Toren der Stadt begibt, reist zurück in die glorreiche Vergangenheit. Belém befindet sich am Nordufer des Tejo. Von hier segelten die Schiffe hinaus in die Welt zu den Entdeckungsfahrten im 14. Jahrhundert.
Der Torre de Belém zeugt von dieser Epoche. Um Lissabon vor Angriffen von der Seeseite her zu schützen, wurde der Turm ursprünglich in der Mitte der Flussmündung erbaut. Heute steht das Bauwerk aufgrund der Änderung im Flussverlauf am Ufer. Typisch für den Stil der Manuelinik, einer Spielart der portugiesischen Gotik, ist er nicht nur wehrhaft, sondern auch mit zahlreichen Dekorelementen geschmückt.
Das Mosteiro dos Jerónimos, ebenfalls ein Bauwerk aus der Manuelinik, zeigt den Reichtum Portugals als Kolonialmacht. Vasco da Gama verbrachte hier seine letzte Nacht vor seiner abenteuerlichen Fahrt nach Indien.
Doch Belém war nicht nur das Tor zur Welt, es war auch ein Rückzugsort für die Elite Lissabons. Um der Armut und Enge der Innenstadt zu entfliehen, residierte sie im noblen Vorort. Auch die vornehmen Badeorte Estoril und Cascais gelten noch heute als Residenzen für die wohlhabenden Lissabonner.
Bei Touristen steht Belém aber noch wegen einer ganz anderen Sache auf der To-Do-Liste: Die berühmten Pastéis. In Belém befindet sich die Wiege der Blätterteigtörtchen mit Vanillepudding. Die Bäckerei Casa de Pastéis de Belém in der Rua Belém 84 gilt als Geburtsort der Süßspeise.
Nirgendwo kann man authentischere Pastéis essen als hier, dieser Meinung sind viele. Dementsprechend lange ist die Schlage, die sich zu fast jeder Uhrzeit vor der Tür des Ladens bildet.
Doch es lohnt sich. Denn die Törtchen, die hier mit Zucker und Zimt bestäubt werden, sind meist noch warm und dann ganz besonders lecker.
Immer auf der Suche nach dem besten Blick
„Miradouros“, dieses portugiesische Wort lernt man schnell in Lissabon. Was im Grunde nur „Aussichtspunkt“ bedeutet, ist in Lissabon mehr. Die Miradouros sind die schönsten Plätze der Stadt, Treffpunkt für Touristen und Einheimische. Sie bieten die schönsten Aussichten auf den Tejo und das tiefblaue Wasser der Bucht.
Den besten Blick hat man vom Stadtviertel Alfama. Um zu einem der Miradouros auf den Hügeln der Stadt zu kommen, gibt es zwei Wege: Zu Fuß führen enge Gässchen steil hinauf. Man passiert lauschige Plätzchen und Straßen, in denen Kinder Fußball spielen. Wäsche ist von einem Fenster zum anderen gespannt, Vogelkäfige hängen an den Balkonen. Hier spielt das Leben und so gar nichts erinnert an die touristischen Plätze, die nur wenige Meter entfernt liegen. Da kann es auch passieren, dass man plötzlich in einem Hinterhof steht, der so gar nicht mehr einladend wirkt, nur um wenige Meter weiter wieder an den schönsten Fleckchen vorbeizukommen.
Die zweite Möglichkeit, die Höhenmeter zu passieren, ist eine Fahrt mit der Straßenbahn 28E. Die kleinen Wagons knattern tagein-tagaus hinauf zur Burganlage Castelo de São Jorge. Die Fahrt mit der Bahn ist nicht nur eine Erleichterung für die ohnehin schon müden Beine, es ist ein Erlebnis an sich.
Wie eine Raupe bahnt sich die Straßenbahn ihren Weg. Alles, was ihr entgegenkommt, muss ausweichen. Taxi, Autos, Fußgänger.
Manchmal kann das ganz schön eng werden, denn an vielen Stellen bleiben rechts und links des Wagons gerade einmal wenige Zentimeter bis zur Hauswand. Es geht hoch, runter, um die Kurve und das mit dem beständigen Rattern und Ruckeln. Am Castelo angekommen, das mit seinen trutzigen Türmen die Stadt krönt, ist von Enge nichts mehr zu spüren. Von hier oben hat man Weitblick über das Meer: Duchschnaufen. schauen, genießen.
Baixa – Auf den Spuren der Stadtgeschichte Lissabons
Phönizier, Römer, Vandalen, Westgoten, Mauren: Schon bevor Lissabon 1256 durch die christliche Eroberung Hautstadt Portugals wurde, kann die Stadt am Tejo auf eine lange Geschichte blicken. Die goldenen Zeiten allerdings kamen mit den Kolonien. Portugal wurde zur Weltmacht.
Einen dramatischen Einschnitt musste Lissabon allerdings 1755 verkraften. Ein Erdbeben zerstörte weite Teile der Stadt. Auch wenn Gebäude und Straßenzüge rasch wieder aufgebaut wurden, fand die Kolonialmacht nie wieder zur alten Stärke zurück. Poltische Krisen hielten das Land in Schach. Erst 1974 endete mit der Nelkenrevolution die Kolonialgeschichte und gleichzeitig die Diktatur des Landes. Die Chance für einen neuen Aufschwung.
Durch das Erdbeben hat sich das Aussehen der Stadt verändert, das sieht man vor allem in Baixa, dem Zentrum von Lissabon. Nach dem Erdbeben wurde dieser Stadtteil komplett neugebaut. Symmetrische Avenues dominieren das Stadtbild zwischen dem Tejo und den beiden Hügeln von Alfama und Chiado.
In Baixa verbringen Touristen wohl die meiste Zeit ihres Besuches. Hier gibt es Hotels, viele Cafés und Prachtplätze wie den Praça do Comércio. Was man neben dem Flanieren noch so tun kann? Wie wäre es mit einem Gläschen Kirschlikör? In den traditionellen Ginjinha Bars trinkt vor allem die ältere Generation das süße Gesöff zum Abschluss des Tages. Was früher als Medizin für alle Wehwehchen helfen sollte, ist heute nicht mehr in Mode. So verschwinden immer mehr der liebenswürdigen Bars von der Bildfläche.
Einen kleinen Geheimtipp gibt es auch. In den Kellerräumen einer Bankfiliale kann man in den Untergrund abtauchen. Da das Bodenniveau heute um einiges höher als vor dem Erdbeben ist, passiert es bei Bauarbeiten immer wieder, dass in den unteren Bodenschichten Außergewöhnliches zutage tritt. So auch beim Bau einer Tiefgarage einer Bank in Baixa.
Skelette aus mehreren Jahrhunderten, Mauerreste und Alltagsgegenstände wurden hier ausgegraben und können heute besichtigt werden.
Das Beste: Die Tour in der Bank Millennium BCP in der Rua dos Correeiros Nr. 9 ist kostenlos!
Zentrum des Fado – das Bairro Alto
Neben der Straßenbahn, der Brücke und den Miradouros ist ein simpler Aufzug eines der Wahrzeichen der Stadt. Um von der Baixa ins höher gelegen Bairro Alto zu gelangen, müssen einige Höhenmeter bezwungen werden. Aber zum Glück gibt es den Elevador da Santa Justa, den historischen Aufzug, der nicht ohne Grund Erinnerungen an Paris weckt. Von einem Eiffel-Schüler errichtet, ist er nicht nur bequemes Mittel, um den Treppen zu entgehen. Er ist auch ein architektonisches Schmuckstück.
Oben angekommen bietet sich wieder der atemberaubende Blick über die Bucht, der auch beim gefühlt tausendsten Mal seinen Zauber nicht verliert.
Das Bairro Alto ist als Ausgehviertel bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt. Im Sommer gleicht das Viertel einer Open-Air-Bar.
Man sitzt auf den Treppen, trinkt einen Wein und isst Häppchen. Musik hallt durch die Gassen, die Luft ist erfüllt von Gesprächen, bei denen sich Portugiesisch, Englisch und Deutsch mischt.
Hier reihen sich Bars, Restaurants und Cafés aneinander. Hier spielt sich das Nachtleben ab. Und wieder sind es die Gegensätze, die Lissabon so spannend machen. Eine Metal-Bar, aus der laute Musik klingt und in der Shots im Minutentakt in die Kehlen geschüttet werden. Daneben ein Restaurant, aus dem der Duft von gegrilltem Fisch weht, daneben eine Fado-Bar.
Denn Bairro Alto ist auch das Zentrum des Fado. Hier versammeln sich allabendlich Touristen und Lissaboner, um den mal zarten, mal flehenden Gesängen der Interpreten zu lauschen. Ohne in einer der vielen kleinen Fado-Bars gewesen zu sein, sollte man die Stadt nicht verlassen. Zu den Klängen der Musik passt perfekt ein Gläschen Vino verde. Der grüne spritzige Wien ist typisch für Lissabon und schmeckt hervorragend zum Fisch, der fangfrisch aus dem Atlantik auf die Teller kommt. Oder man genießt ihn einfach als erfrischenden Drink in lauen Sommernächten.
Lissabon – das ganz besondere Saudade-Gefühl
Vielleicht sind es diese Abende bei Wein, Essen und Musik, an denen man Lissabon vollends begreift. Lissabon ist mehr als seine Sehenswürdigkeiten. Wenn man da sitzt, den Klang des Fados im Ohr, melancholisch und glücklich zugleich, dann hat einen die „Saudade“ voll erwischt. Und dann kommt man immer und immer wieder in die weiße Stadt auf sieben Hügeln.
Bildnachweis:
Titelbild, Straßenbahnschienen mit Meerblick, Azulejos: Mischa Miltenberger
Torre de Belem, Pasteis de Belem, Linie 28, Miradouros: Julia Schattauer