In der Kolumne „Meine ReiseZutaten“ philosophieren wir über Gott und die Reisewelt. Welche guten Zutaten braucht eine Reise? Was versalzt uns gerne mal die Reise-Suppe? Und wann denken wir: „Wer bitteschön hat denn DAS bestellt?“ In Folge 14 dreht sich alles um ausgelatschte Pfade.
Meine ReiseZutaten (14): Ausgelatschte Pfade
Mein Gott, so viele Touristen! Schrecklich! Alles komplett überlaufen. Schnell weg hier. Das verdirbt mir ja komplett meine Urlausbslaune.
Wer das noch nie gesagt oder gedacht hat, war noch nie auf Reisen. Oder ist ein ziemlich guter Lügner.
Wir wollen immer zu den schönsten Plätzen dieser Erde. Zauberhafte Bilder haben wir davon im Internet gesehen. Das Herz schlägt höher, wenn wir nur die Beschreibung im Reiseführer lesen.
Dann vor Ort der Schock: Wir sind ja gar nicht die einzigen Menschen auf diesem Planeten, die solch ein Kleinod ansehen, bewundern, fotografieren möchten. Da sind ja Horden von Touristen. Wie konnte das passieren?
Diese Form der Reise-Schizophrenie kann überall auf der Welt diagnostiziert werden. Und ist ziemlich schwer heilbar.
Denn tief in uns drin flüstert immer eine Stimme: „Jetzt bist du so weit gereist, um diese Sehenswürdigkeit anzuschauen. Dann hast du dir verdammt nochmal verdient, das auch in Ruhe zu tun!“
Dummerweise flüstern das die Stimmen der anderen 1500 Menschen, die gleichzeitig für ein Eiffelturm-Ticket anstehen, auch. Im gemeinsamen Klagelied besingen sie die „vielen Touristen“ – und vergessen dabei völlig: Sie selbst sind der Tourist!
Wären sie nicht ein Herdentier wie alle anderen, gäbe es die Schlange gar nicht.
Stell dir vor, da steht ein Eiffelturm und keiner will rauf. Irgendwie ein lustiger Gedanke.
Was tun gegen diese heimtückische Krankheit? Da gibt es zwei einfache Lösungen: daheim bleiben oder anfangen zu akzeptieren, dass einem die schönsten Plätze der Welt nicht allein gehören. Zumindest nicht diejenigen, die in jedem Reiseführer stehen und in jedem Reiseblog bis zum Erbrechen rauf- und runterempfohlen werden.
Oder Variante 3: Reiseführer wegwerfen, runter von den ausgelatschten Pfaden und selbst auf Entdeckungsreise gehen. Nicht das Vorgekaute reinschlingen, sondern selbst zum experimentierfreudigen Koch des eigenen Reisegenusses werden.
Und auch für diese Variante gibt es wiederum mehrere Ausführungsmöglichkeiten.
Für Anfänger: Dorthin fahren, wo alle hinfahren und dann vor lauter Ärger über die vielen Touris einfach mal so lange abzweigen, bis man seine Ruhe hat. Geht manchmal ganz schnell. Ein, zwei Straßenzüge weiter und schon lockt das Paradies. Alles genauso schön, nur keiner mehr, der einem auf die Trekking-Sandalen tritt.
Manchmal kann es auch dauern: Wie im Fall der Promenade La Rambla in Barcelona. Für dieses Experiment habe ich mich als Versuchskaninchen geopfert. Meine Ruhe hatte ich immerhin 40 Minuten später in einem Park nahe dem Olympiastadion hoch über der Stadt. Einzelgängertum fördert die Kondition. Oder so ähnlich.
Für Fortgeschrittene: Mit purer Absicht in Städte, Regionen, Länder reisen, die einem nicht schon seit Jahren von allen Werbeplakaten entgegenrufen „Besuch mich jetzt!“. Von denen man aber schon vernommen hat, dass sie im weitesten Sinn als Geheimtipps gelten. Wo man sich quasi ein klein wenig als Trendsetter fühlen kann, bevor der Rest der Herde antrampelt.
Dort am besten immer der Nase nach, vorher ganz auf schlaue Tipps und „Musst du gesehen haben“-Infos verzichten. Geheimtipps von den Menschen holen, die sich wirklich auskennen – nämlich den Einheimischen.
Wenn einen dann ein Taxifahrer nachts um 1 Uhr vor einem Nachtclub in einem entfernt gelegenen Gewerbegebiet absetzt und davon braust, dieser Nachtclub aber schon seit Jahren geschlossen hat – dann kann man immer noch entscheiden, wann das laute Fluchen in einen Lachanfall übergeht. Andere Touris treten einem dort zumindest nicht auf die Zehen.
Für Lebensmüde: Ach, warum nicht mal die Favelas von Rio besichtigen? Lernt man doch ganz authentisch Land und Leute kennen. Ist ja auch interessant zu wissen, wie Menschen in so großer Armut leben können. Das mit den Drogendealern, den Raubmorden und den Schießereien zwischen Gangstern und der Polizei ist doch eh alles nur aufgebauscht durch die Lügenpresse.
Ganz ehrlich: Lieber stehe ich 5 Stunden lang für ein Eiffelturm-Ticket an und rege mich über die anderen Touristen auf, als allein unter Gangstern in einer engen Seitengasse zu sein – mit ungewissem Ausgang.
An ausgelatschten Pfaden ist gar nichts verkehrt. Sie führen uns zu den bemerkenswertesten Orten dieses Planeten. Mit der „Ist das herrlich hier!“-Garantie inklusive. Und bieten die Möglichkeit, spannende Menschen aus der ganzen Welt kennenzulernen. Wer sich davon die Laune verderben lässt, soll wirklich besser auf dem Campingplatz in Wanne-Eickel bleiben und weiter seine Gartenzwerge polieren.
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