In der Kolumne „Meine ReiseZutaten“ philosophieren wir über Gott und die Reisewelt. Welche guten Zutaten braucht eine Reise? Was versalzt uns gerne mal die Reise-Suppe? Und wann denken wir: „Wer bitteschön hat denn DAS bestellt?“ In Folge 10 dreht sich alles um AirbnB.
Meine ReiseZutaten (10): AirbnB
Onkel Adam liegt mal wieder. Manchmal sitzt er auch am großen runden Tisch im Wohnzimmer, liest Zeitung, trinkt ein Bier. Danach geht es wieder aufs Sofa.
Wenn ich seinen Raum auf dem Weg in die Küche, ins Bad oder zur Haustür durchqueren muss, schläft er entweder oder sieht nicht von seiner Zeitung auf. Langsam frage ich mich, ob er meine Anwesenheit überhaupt wahrnimmt.
Als ich meinen dreitägigen Aufenthalt in Danzig gebucht hatte, wusste ich nichts von Onkel Adam. Auch Marta, seine Nichte und meine Airbnb-Vermieterin, wurde von der Ankunft des trinkfreudigen, doch sehr introvertieren Onkels aus Warschau überrascht.
So bekam Adam das Durchgangszimmer. Ich durfte unter den gütigen Augen von Johannes Paul II., der mich von einem Wandbild anlächelte, mein kleines Zimmer beziehen.
Für diese Momente liebe ich Airbnb. Kurzzeitig Teil des Lebens von Einheimischen sein, inklusive aller Überraschungen.
Zum Beispiel, wenn die WG-Mitbewohnerin meiner Vermieterin in Hamburg plötzlich Besuch von vier asiatischen Freundinnen bekommt. Insgesamt sechs Mädels in einer Dreizimmerwohnung plus der Herr Tourist. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich am darauf folgenden Morgen geflucht habe, wann ich denn endlich ins Bad komme. Nur so viel: Im Schnitt hat jede der Damen 25 bis 30 Minuten gebraucht. Und ich war als Letzter dran.
Doch das ist Teil des Spiels. Günstige Zimmer beim Städtetrip in spannenden Stadtteilen erfordern eben ein wenig Flexibilität und Anpassung an die Umstände. Ich bin in dem Moment Teilzeit-Mitbewohner, nicht Gast. Mit allen Konsequenzen.
Insofern ist Airbnb so herrlich lebensnah. Endlich eine Alternative zur gelangweilten Hotel-Routine mit vorhersehbarem Komfort, noch vorhersehbareren teuren Frühstücken und der ewig drögen Lounge-Musik.
Oh ja, inzwischen schreit die Hotel-Lobby ganz laut, weil sie um ihre lieb gewonnenen Umsätze fürchtet. Doch wer hat die Hotels eigentlich gezwungen, entweder immer noch teurere Tempel zu bauen, die sich kein Mensch mehr leisten will oder ihre 2- und 3-Sterne-Bunker über die Jahre sorgfältig verrotten zu lassen?
Airbnb hat eine Marktlücke geschlossen, von denen viele Reisende vorher gar nicht ahnten, dass sie existiert. Wer zu alt ist für den aufgeregt-betrunkenen Hostel-Party-Trubel samt feindlicher Schnarchangriffe im Schlafsaal und gleichzeitig zu jung für gähnend öde Standard-Hotels, der hat plötzlich Auswahl ohne Ende.
In einer Airbnb-Bude werde ich automatisch Teil der Stadt. Ich sauge den Duft der Treppenhäuser auf, wuchte ächzend meinen Koffer in den sechsten Stock. Und lege mich schon mal nachts um 1 Uhr mit dem netten jungen Herrn in der Wohnung darunter an. Der gar nicht versteht, dass nicht alle Menschen das mit Subwoofer auf 80 Dezibel verstärkte Gewummer seiner Videokonsolen-Maschinenpistole so inspirierend finden wie er selbst.
Airbnb ist ein Geschichtenlieferant. Eine Stunde in einer Privatwohnung liefert mehr guten Stoff als eine Woche im Hotel.
Wie bei Tommy in Stockholm. Völlig überrascht davon, dass tatsächlich jemand kurzfristig sein Angebot wahrnimmt, fährt er erstmal zu Ikea, um ein Doppelbett zu besorgen und zusammenzuschrauben. Dazu abends die Einladung in sein riesiges Wohnzimmer und stundenlange Gespräche über Gott und die Reisewelt.
Oder der Vater von Paolo, der es nicht rechtzeitig zur Schlüsselübergabe aus Rom in die Toskana geschafft. Und so kramt der Senior sein bestes Englisch zusammen und erklärt uns eine gute halbe Stunde lang mit Hingabe jedes Detail der schnuckligen Ferienwohnung. Die gerade einmal 20 Quadratmeter groß ist.
Ach Airbnb, ich liebe dich für diese Momente. Was auch immer in diesen Tage Böses über dich geschrieben wird, du bleibst eine meiner wichtigsten ReiseZutaten. Versprochen.