Neapel Amalfiküste

Neapel und Amalfiküste: Wunderschön und voller Widersprüche

Vedi Neapoli e poi muori! Sieh Neapel und dann stirb! Das Sprichwort überlieferte schon der große deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe in seiner „Italienischen Reise“ 1786. Landläufig wird es heute als „Neapel sehen und sterben“ übersetzt, was aber rein gar nichts mit einer Bedrohung für Leib und Leben zu tun hat. Zugegeben, allein die Erwähnung des Wortes Neapel lässt mach ängstlichem Zeitgenossen einen Schauer über den Rücken jagen.

Neapel und Vesuv, Italien, Kloster San Martino
Neapel – eine außergewöhnliche Stadt direkt vor dem Vesuv, hier vom Kloster San Martino aus zu sehen.

Doch dieser Satz heißt nichts anderes als: Wer die Millionenstadt in Süditalien einmal in all seiner Pracht gesehen hat, der wird künftig nichts Großartigeres mehr erleben. Oder bedeutet er: „Neapel sehen und danach Muori“? Schließlich handelt es sich hier auch um ein Wortspiel, das den kleinen Ort Muori in der Nähe von Neapel mit einschließt. Nicht das Einzige in dieser besonderen italienischen Region, das ein gewisses Geheimnis birgt.

Neapel hat eine magische Anziehungs- und Abschreckungskraft zugleich. Eine Stadt der krassen Gegensätze. Unfassbar dreckig und bezaubernd zugleich. Absolut chaotisch und voller liebenswerter Menschen. Heruntergekommene Häuser und beeindruckende kulturelle Sehenswürdigkeiten. Fest in der Hand der Camorra, aber gefahrlos für den Touristen, wenn er sich an ein paar Spielregeln hält.

Wer Neapel besucht, muss sich trauen, einmal nicht in deutschen Reinheits-Richtlinien zu denken. Zum Lohn für seinen Mut bekommt er eine Stadt zu sehen, die er aufgrund der Lebendigkeit und der ganz eigenen Schönheit nie vergessen wird.

Anarchie hier, große Kultur dort

Was wird der Neapel-Hasser, der sich nicht auf die Stadt einlassen wollte, von seiner Reise erzählen? Wahrscheinlich vom Piazza Garribaldi, dem Bahnhofsplatz, der den Ankömmling mit seinen vielen zwielichtigen Gestalten erst einmal schockiert. Vom Verkehrschaos in den engen Gassen und auf den Straßen, wo pure Anarchie herrscht. Von sichtbarer Amut, Müll, Dreck, herunter gekommenen Wohnsilos und Verfall.

Neapel, Piazza Plebiscito mit Basilika
Kultur wird in Neapel groß geschrieben. Hier der Piazza del Plebiscito mit der Basilika.

Und was wird der Neapel-Liebhaber entgegen halten? Er wird von einer einzigartigen Metropole berichten, deren lange Geschichte – die Stadt wurde etwa 500 v.Chr. von den Griechen gegründet – einen auf Schritt und Tritt begleitet. Von einem jungen, pulsierenden Neapel, in dem selbst in jedem Hinterhof und dem entlegensten Winkel noch das pure Leben tobt. Von der Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Von herrlichen Kirchen (zum Beispiel Gesù Nuovo und San Francesco di Paola), der Piazza del Plebiscito mit dem Königspalast, Theatern, Museen und Galerien, die das Herz jedes Kulturbegeisterten höher schlagen lassen.

Neapels Zauberhafte Burg Castel dell’Ovo

Von unzähligen kleinen Geschäften, Lokalen, Straßenmusikern, von flatternden Wäscheleinen, von Dächern und Balkonen, die sich in blühende Gärten verwandeln. Von einem Promenaden-Spaziergang am Meer, der einen zur zauberhaften Burg Castel dell’Ovo führt – auf einer Insel gelegen, die über eine kleine Straße mit dem Festland verbunden ist.

Neapel, Castel dell'Ovo, Italien, Insel mit Festung
Neapels zauberhafte Insel Castel dell’Ovo mit seiner mittelalterlichen Festung.

Vor allem wird er von unglaublich fröhlichen, herzlichen und humorvollen Menschen erzählen. Und von gutem Essen. Vielleicht die zwei wichtigsten Gründe für einen Besuch von Neapel.

„Wer Hunger hat, bekommt zu essen“, heißt es in der drittgrößten italienischen Stadt. Eine Verknüpfung aus der Liebe zum Essen und der Menschlichkeit. Egal, wie groß die Armut ist: Niemand wird hängengelassen, notfalls wird improvisiert und das Wenige noch geteilt.

In eine solche Lage wird ein Tourist in der Regel nicht kommen. Er kann sich auf unzählige südliche Gaumenschmeichler freuen und bei der Wahl eines Restaurants oder einer Pizzeria kaum etwas falsch machen. Doch, halt! Nämlich zu „Da Michele“ zu gehen, wo es laut Reiseführer die beste Pizza Italiens – und damit selbstverständlich auch der Welt – geben soll. Heimische Insider wissen, dass man ohne eine Stunde anzustehen in vielen anderen Läden eine mindestens genauso gute, wenn nicht sogar noch bessere Pizza bekommt.

Neapel, Pizza, Altstadt
Die beste Pizza der Welt? Einfach mal links oder rechts schauen – hier kann man nichts falsch machen.

Bestellt wird natürlich „La vera Pizza Napoletana“, also die einzig wahre Original-Version aus Neapel – nur mit frischem Tomatensugo, Büffelmozarrella von heimischen Wasserbüffel-Herden und Basilikum. Wer einmal dieses Wunderwerk an Einfachheit und überragendem Geschmack genießen durfte, wird wahrscheinlich in heimischen Landen keine Pizza mehr mit Form-Vorderschinken und Dosenchampignons ordern.

Eine süße Verführung namens Babà

Weit über die Grenzen Neapels hinaus hat auch eine süße Verführung Bekanntheit erlangt. Babà heißt der in Rum getränkte Hefekuchen, dessen Genuss genauso zu einem Neapel-Besuch gehört wie ein Stück Sachertorte zu Wien. Zu empfehlen beispielsweise im reich dekorierten „Caffè Gambrinus“, das es seit 1860 gibt und in dem früher schon die Schriftstellerprominenz wie Oscar Wilde, Ernest Hemingway und Jean Paul Sartre saß.

Babà Hefekuchen
Nichts für Asketen: Der in Rum getränkte Hefekuchen Babà gehört zu jedem Neapel-Besuch dazu.

Zum Abschluss sollte unbedingt noch das Eintauchen in die geheimnisvolle Unterwelt Neapels auf dem Programm stehen. Die Stadt ist zu weiten Teilen unterhöhlt. In bis zu 40 Metern Tiefe findet sich ein rund 80 Kilometer langes, beeindruckendes Labyrinth aus Gängen und Hallen, die durch die Wandgravierungen ihre ganz eigene Geschichte früherer Epochen erzählen. Die Tuffsteinhöhlen stammen teilweise aus vorchristlicher Zeit. Tuff entsteht übrigens beim Ausbruch von Vulkanen als Ablagerung von Glutlawinen und Ascheströmen, die sich zusammen mit Wasser zu Gestein verfestigten.

Vesuv – wunderschön und bedrohlich

Womit wir schon beim Vesuv wären, einem der gefährlichsten Vulkane der Welt. Nur wenige Kilometer liegt er vor der Toren Neapels und ist Touristenmagnet wie Schicksalsberg zugleich. 1944 war der letzte Ausbruch des einzigen aktiven Vulkans auf dem europäischen Festland.

Sollte es wieder einmal so weit sein, ist kaum vorstellbar, wie man so viele Menschen in kurzer Zeit aus einem so dicht besiedelten Gebiet bringen sollte – vor allem, wenn man betrachtet, wie schon an ganz normalen Tagen das Chaos in Neapel aussieht. In einer Stadt, die offiziell eine Million Einwohner hat, inoffiziell geschätzt aber deutlich mehr.

Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen ist der Nationalpark des Vesuvs ein extrem beliebtes Touristenziel. Nach einem rund 20-minütigen Aufstieg vom Parkplatz aus wird man mit einem Blick in den riesigen Kraterschlund belohnt. Bei schönem Wetter auch noch mit einer fantastischen Aussicht über den Golf von Neapel.

Pompeji – die unter Vulkanasche konservierte Stadt

Wer auf dem Vesuv war, muss sich danach im Tal anschauen, was dieser Vulkan einmal angerichtet hat. Bei seiner verheerendsten Eruption im Jahr 79 n. Chr. wurde die Stadt Pompeji unter einer bis zu 7 Meter dicken Schicht aus Asche und Lavaschlacke begraben. Drei Tage lang regnete es fast ununterbrochen Steine und glühende Asche, rund 5000 der 20.000 Einwohner starben. Die Vulkanasche konservierte die Stadt geradezu, sodass ab dem Beginn der Ausgrabungen im 18. Jahrhundert nach und nach das spektakulärste archäologische Zeugnis unserer Zeit zum Vorschein kam. Ein Fest für Wissenschaftler – wie auch für Reisende, die stundenlang eine riesige Anzahl beeindruckender historischer Sehenswürdigkeiten bestaunen können.

Ruinen von Pompeii beim Vesuv
Was der Vesuv bei einem Ausbruch anrichten kann, lässt sich in Pompeji erahnen.

Apropos Staunen. Nur rund 55 Kilometer südöstlich von Neapel verschlägt es vielen Reisenden glatt die Sprache. Was sie dort zu sehen bekommen, ist die bezaubernde Schönheit der Amalfiküste, oder anders formuliert: Italien wie aus dem Bilderbuch. Passend dazu das nächste Sprichwort: „Wer von Amalfi ins Paradies kommt, für den bleibt alles beim Alten.“ Gibt es ein schöneres Kompliment für eine Region?

Göttliche Amalfiküste mit atemberaubender Bergstraße

Die Costiera Amalfitana, auch genannt „die göttliche Küste“, gilt als eine der herrlichsten Landschaften der Welt. Drei Komponenten tragen dazu bei: die atemberaubende Bergstraße 163, die sich rund 40 Kilometer lang an der Steilküste entlang und an Felsüberhängen vorbei schlängelt, bezaubernde bunte Dörfer, die wie von Hundertwasser in den Berg gemalt scheinen und nicht zu vergessen das tiefblaue Meer.

Serpentinenstraße an der Amalfiküste
Echte Herausforderung: Eine Autofahrt an der Amalfiküste entlang ist nichts für Menschen mit Höhenangst.

Wer hier entlang fährt, braucht gute Nerven und einen voll geladenen Akku des Fotoapparats. Menschen mit Höhenangst wird sogar vom Befahren der Küstenstraße von Positano nach Vietri sul Mare abgeraten. Die Strecke präsentiert sich nicht nur kurvig und eng – an manchen Stellen passen gerade einmal zwei Autos haarscharf aneinander vorbei -, sondern führt in ordentlicher Höhe direkt an steil abfallenden Hängen entlang. Nur ein nicht allzu hohes Begrenzungsmäuerchen trennt die Fahrzeuge vom Abhang.

Des einen Leid, des anderen Freud. Wer sich nämlich wagemutig der wilden Amalfitana annimmt, wird mit spektakulären Ausblicken ohne Ende belohnt.

Es fühlt sich an wie eine Reise in die Italien-Filme der Kindheit. Ein Klischee wird wahr: Glückliche Menschen in Cabrios mit Sonnenbrille und Kopftuch genießen den Moment, das Leben, die Sonne, den Wind, den Meerblick und schmettern mit Mario Lanza „O sole mio“ um die Wette. Das ist Süditalien in seiner reinsten Form.

Zum Genießen bieten sich die Ausbuchtungen und Terrassen an, auf  denen man halten und in Ruhe das Kunstwerk der Natur bewundern kann, ohne mal an die nächste Kurve oder den Gegenverkehr zu denken. Vor rund 170 Jahren wurde die Straße quasi in den Fels gesprengt und folgt jeder natürlichen Windung. Sie reiht dabei ein malerisches Dörfchen an das andere. Wie im Märchen kommt sich der Reisende vor, wenn die bunten Häuser, die an der Felswand zu kleben scheinen, im Abendlicht glänzen. Dazu vergoldete Kuppeln im byzantinisch-maurischen Stil. Ein nicht enden wollender, romantischer Traum.

Positano an der Amalfiküste
Wie aus dem Bilderbuch. Das frühere Fischerdörfchen Positano gilt als die Perle der Amalfiküste.

Zum Beispiel das reizende Positano, die Perle der Amalfiküste. Einst Fischerdorf, heute stylischer Badeort. Wunderschön und ganz schön teuer. Die Reichen zog es schon immer dorthin, wo grandiose Ausblicke an zauberhaften Orten zu finden sind. Wie beispielsweise in Amalfi, Atrani, Maiori, Minori, Praiano und Vietri sul Mare, die alle direkt am tyrrhenischen Meer mit seinem kristallklaren Wasser liegen.

Riesige Zitronen und überwältigende Aussichten

Geradezu eine Versündigung an der süditalienischen Seele wäre es, zwischen all dem Fahren und Staunen nicht genug Pausen für das Essen einzulegen. In der Qualität seiner Speisen steht die Amalfiküste dem nahe gelegenen Neapel nämlich in nichts nach. Pasta und Meeresfisch in allen Varianten, heimischer Käse und lokale Weine – und nicht zu vergessen die Zitronen! Riesengroße Früchte wachsen hier überall, auch bei Feinschmeckern im Ausland wohl bekannt aufgrund seines süß-sauren, intensiven Geschmacks.

Die ganze Gegend ist ein einziges Zitronenparadies. Wer dort seinen Urlaub verbracht hat, wird den Duft der Amalfi-Zitronen nie mehr vergessen. Und vermutlich mindestens eine Flasche Limoncello als Souvenir einkaufen, der hier vielerorts noch handwerklich hergestellt wird. Wer als Einheimischer ein besonders gutes Rezept für den Zitronenlikör hat, der wahrt sein Geheimnis deshalb gut.

Ausblick auf den Golf von Salerno
Geht noch mehr Postkartenmotiv? Der Ausblick auf den Golf von Salerno von der Villa Rufolo in Ravello.

Vor dem Rückflug geht es aus der Bilderbuchwelt noch einmal ins lärmende Neapel. Eine Stadt, die man wohl nie sauber bekommen wird. Menschen, die sich nicht als Italiener, sondern als Neapolitaner sehen. Die mit dem Stadtpatron San Gennaro einen Heiligen verehren, der von Rom gar nicht als solcher anerkannt wird. Heimat der grandiosen Sophia Loren. Wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Süditaliens. Von Norditalienern belächelt bis gehasst.

Kann man Neapel überhaupt verstehen?

Eine Stadt voller Widersprüche. So anders, dass man sie vielleicht gar nicht verstehen kann oder muss. Eins steht aber fest: Wer hier war und nicht wiederkommen will, der muss wirklich schon tot sein.

Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphotos.com/Tetiana Chavus
Kloster San Martino: © Depositphotos.com/Andrey Lebedev
Piazza Plebiscito: © Depositphotos.com/Alexey Popov
Castel dell’Ovo: © Depositphotos.com/Laura Passavanti
Pizzeria: © Depositphotos.com/Yulia Grigoryeva
Hefekuchen Babà: © Depositphotos.com/Laura Passavanti
Pompeii: © Depositphotos.com/Vaclav Schindler
Küstenstraße: © Depositphotos.com/Leonid Mugli
Positano: Unsplash.com
Villa Rufolo: © Depositphotos.com/Jakob Radlgruber