Da steht er, sein iPhone 6 fest umklammert, auf dem Flughafen von Jakarta auf der Insel Java. 32 Jahre alt, im Hauptberuf Redakteur bei einer regionalen deutschen Tageszeitung. Im Nebenberuf Vielreisender. Nennen wir ihn Lars. 15 Stunden Direktflug von Frankfurt können einem wie ihm nichts anhaben. Lars hat im großen Reisespiel seines Lebens schon 53 Länderpunkte gesammelt.
Er kennt jeden Trick, wie man lange Flüge gut übersteht. Und weiß, was das Wichtigste nach der Ankunft ist: sofort ein Selfie twittern und dabei betonen, wie anstrengend der Flug gewesen sei, aber dass er sich nun riesig auf die kommenden 3 Wochen freue. Erleichterte Feststellung, dass das Flughafen-Wifi gut funktioniert und sein Tweet schon achtmal favorisiert und mit guten Wünschen für die Tour versehen wurde. So kann es weitergehen!
Diashow? Unvorstellbar!
Wie Reisen früher ohne Smartphone funktioniert hat, mag sich Lars überhaupt nicht ausmalen. Es soll tatsächlich Menschen gegeben haben, die wochen- oder monatelang in der Ferne waren und ihre Geschichten erst nach der Rückkehr der Familie und den Freunden erzählt haben. Die dann erst ihre Fotos oder Dias gezeigt haben. Unvorstellbar. Für Lars ist eine Reise nur dann eine gute Reise, wenn sein soziales Umfeld davon erfährt. Am besten in Echtzeit. Wenn das mal nicht geht, dann zumindest so aktuell wie möglich.
Er hat den Ruf als „bunter Hund“, der seine Routen individuell plant und niemals einen Pauschalurlaub buchen würde. Was sollte er da auch posten? Fotos von einem hässlichen Hotelpool mit verbrannten Engländern und quengeligen Kindern? Nein, je weniger ausgetreten die Pfade, desto besser. Dabei nimmt er in Kauf, dass auch die Wege des Individualtourismus dank der Reiseführer wie Lonely Planet auch schon ganz schön ausgelatscht sind. Diesmal hat sich Lars für eine Rundtour auf Java entschieden. Und nicht, wie (fast) alle anderen dafür, die Hauptinsel Indonesiens nur als Zwischenstopp auf dem Weg zur Nachbarinsel Bali zu nehmen.
Bali kann jeder. Java muss man sich erstmal verdienen.
Vor allem die Metropole Jakarta. 12 Millionen Einwohner hat die Hauptstadt Indonesiens. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hostel freut sich Lars über das Verkehrschaos, das er von seinen anderen Reisen in asiatische Großstädte schon gewohnt ist. Hurra, das gibt wieder großartige Fotos. Da werden vor allem die Facebook-Freunde daheim staunen, die im Urlaub nicht über Adria oder Nordsee hinaus kommen. Was sind schon die Sprachschwierigkeiten im italienischen Ristorante im Vergleich zu diesem brodelnden Multikulti-Moloch mit Menschen aus über 100 Nationen, durch den er gerade fährt?
Andere Reisende bleiben deshalb nicht lange in Jakarta. Lars sieht es aber ein Stück weit als kulturelle Verantwortung, sich nicht nur die hübschesten Ecken eines Landes herauszusuchen. Er will eintauchen in das quirlige Gewusel der Riesenmetropole. Will den Lärm und Gestank bewusst wahrnehmen, aber auch die Gerüche der Garküchen aufsaugen, vor allem auf den Night Markets. Will auf dem Flohmarkt in der Jalan Surabaya das schier endlose Warenangebot bestaunen und ein wenig feilschen. Der Kupferkessel-Händler posiert gerne zusammen mit Lars. Das Bild macht sich super auf Instagram. Sollen alle sehen, wie gut der Weitgereiste mit den Einheimischen kann.
Der wilde Stilmix von Jakarta
Abends im Hostel hat Lars immer zu tun. Fotos sortieren, bearbeiten, auf Instagram mit den Hashtags versehen, auf Facebook eine neue Galerie hochladen. Wer etwas erlebt, hat genug zu zeigen. Die anderen Backpacker sehen das ähnlich.
Und so daddeln sie alle im Gemeinschaftsraum auf ihren Mobilgeräten herum und kommen vor lauter Mitteilungsdrang kaum dazu, miteinander zu reden.
Dabei gäbe es so viel zu erzählen über das, was Jakarta zu bieten hat. Diesen wilden und bunten Mix aus verschiedensten Stilrichtungen: alt und neu, arm und protzig, baufällig und supermodern, traditionell und westlich, Elendsviertel und Luxus. Über die Altstadtbauten im niederländischen Kolonialstil (Indonesien war über drei Jahrhunderte unter niederländischer Herrschaft) sowie den riesigen Merdeka-Platz mit dem 140 Meter hohen Turm des Nationaldenkmals, die Museen, Moscheen und Kirchen (ca. 85 Prozent der Indonesier bekennen sich zum Islam, ca. 10 Prozent zum Christentum). Über den wilden Sprachenmix und nicht zu vergessen das Puppenspiel mit den Stabpuppen (Wayang) – ein wichtiger Teil der indonesischen Kultur.
Das Wichtigste ist „Free Wifi“
Doch Java besteht nicht nur aus Jakarta. Schließlich gibt es noch viel zu sehen und zu fotografieren. Bevor es weitergeht, besorgt sich Lars natürlich eine lokale SIM-Karte mit richtig großem Datenvolumen. Denn wer weiß, wie oft er unterwegs noch das Schild „Free Wifi“ sehen wird.
Ohne Internet fühlt er sich nackt und wie abgeschnitten von der Welt. Diesen Zustand gilt es zu vermeiden. Lieber würde er auf Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke verzichten, als eine Reise ohne begleitende Social-Media-Aktivitäten zu unternehmen.
Nördlich der Küste von Jakarta ruht sich Lars erst einmal im Marine Nationalpark Kepulauan Seribu von den anstrengenden Tagen in der Großstadt aus. Baden auf auf Pulau Kelapa, einer der über 300 flachen Koralleninseln, ist angesagt. Gleich noch das Klassiker-Foto mit Füßen im Sand und Meerblick gepostet: „32 Grad – und ihr so ;)?“
Weiter geht der Trip in den Ujung-Kulon National Park, seines Zeichens Unesco-Weltkulturerbe und Heimat des Vulkans Krakatau, der 1883 einen der größten Vulkanausbrüche der Neugeschichte verursachte. Damals wurde die Insel Rakata Besar vollständig vernichtet, fast 40.000 Menschen kamen ums Leben. Der Primärdschungel hat rund 60 000 Hektar Fläche und wurde zum Schutz für die vom Aussterben bedrohten Nashörner der Insel Java angelegt.
Damit ist er weit über die Grenzen von Indonesien hinaus bekannt. Er punktet mit unberührter Natur, mit Affen, Wildrindern, Waranen, Wildhunden, Leoparden und goldenen Stränden. Lars zeigt sich begeistert von der Vielfalt der tropischen Pflanzen- und Tierwelt. „Welcome to the jungle!“ nennt er seine neue Galerie. Das riecht nach ziemlichen vielen Likes. Wenn nur das Hochladen nicht solange dauern würde …
Java versteht man am besten von oben
Nun wird es Zeit, sich Java einmal von oben anzusehen. So richtig verstehen kann die Insel nur, wer auf einem – oder am besten gleich mehreren – ihrer Vulkane gestanden hat. Von West nach Ost wird sie von einer Kette mit 130 aktiven Vulkanen durchzogen. Im überfüllten Bus geht es für Lars auf den Tangkuban Perahu in der Nähe der Stadt Bandung. Praktisch, dass die Haltestelle quasi direkt am Krater liegt. Dort oben warten Führer, die Touristen zu den heißen Quellen bringen.
Doch Lars entscheidet sich für einen Spaziergang auf eigene Faust am Kraterrand entlang. Er weiß aus langer Reiseerfahrung: Je weiter man läuft, desto weniger anderen Touristen begegnet man. So auch hier. Am Ende marschiert er alleine durch den Wald und kommt zu einer heiligen Quelle, an der rituelle Waschungen vorgenommen werden. Zufrieden mit sich und dem großartigen Fotomaterial tritt er den Rückweg an. Noch schnell den Selfiestick rausgeholt und sich am Kraterrand fotografiert – damit lässt sich im Netz punkten.
Auf der Fahrt Richtung Osten steht ein Pflichtstopp auf den Programm. Die historische Universitätsstadt Yogyakarta mit ihren rund 500.000 Einwohnern gilt als der kulturelle Mittelpunkt von Java. Dort begann auch der Widerstand gegen die Kolonialkräfte. Ein lebendiger Ort mit Jahrhunderte alten Tempelanlagen verschiedener Religionen, aufgeschlossenen Menschen und unfassbar vielen Cafés, Restaurants und Unterkünften.
Yogyakarta: Lebendige Unistadt mit Flair
Eine extrem attraktive Stadt, was sich sofort an der großen Anzahl von Backpackern aus aller Herren Länder ablesen lässt. Lars sieht sich den Kraton an, eine im 18. Jahrhundert erbaute Stadt in der Stadt, in der sich der Sultanspalast befindet. Er besucht den Vogelmarkt (Pasar Burung), schließlich sind Vögel Sammelobjekte und Statussymbol in Indonesien. Er streift durch die Stadt und gönnt sich am Ende noch eine wunderbar entspannende Massage. In diesem Moment legt er tatsächlich einmal das Smartphone aus der Hand, denkt weder ans Internet noch an seine Follower, sondern genießt einfach.
Noch wichtiger als der Geschmack? Gutes Fotos vom Essen auf Java!
Beim Abendessen sieht das schon wieder anders aus. Natürlich ist es wichtig, dass es gut schmeckt. Aber noch wichtiger sind die Fotos der Speisen. Soll ruhig jeder sehen, dass Lars gastronomisch gesehen ganz tief in die Gewohnheiten der heimischen Bevölkerung eintaucht.
Begriffe wie Jajan (Reiskuchen mit Kokosnuss-Sirup), Gado-Gado (Gemüse mit Erdnuss-Soße), Ikan manis (Fisch mit süßer Soße) oder Bakso (Fleischbällchen-Suppe) sind für ihn so geläufig wie Schnitzel oder Käsebrot für seine Freunde.
Am liebsten würde er gleich live aus den Warungs (lokalen Restaurants) übertragen, um seine neuen kulinarischen Entdeckungen zu feiern. Gibt es da nicht die Periscope-App, mit der man so etwas machen kann?
Nach so viel Neuzeit-Gedanken geht es am nächsten Tag erst einmal ganz weit zurück in die alte Welt. Die altindonesische Architektur hatte zwischen dem 8. und 14. Jahrhundert auf Java ihre Blütezeit. Vor allem die prächtigen Tempelbauten Prambanan und Borobudur in der Nähe von Yogyakarta zeugen davon. Beide sind die wichtigsten Heiligtümer ihrer jeweiligen Religion auf indonesischem Gebiet und wurden 1991 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Der beeindruckende buddhistische Tempel Borobudur, im 8. Jahrhundert erbaut, gilt als einer der bedeutendsten in ganz Südostasien. Er war viele Jahre das Zentrum für buddhistische Pilger.
Der Blick von Lars schweift über mehrere Terrassen hinweg, bis er auf der obersten Terrasse die 72 glockenförmigen Stupas entdeckt. So viel historische Pracht muss umgehend geteilt werden. Da bleibt keine Zeit, mal einen Moment lang alles einfach nur auf sich wirken zu lassen. Genauso wenig wie in der Prambanan-Tempelanlage, dem größten hinduistischen Komplex, der im 9. und 10. Jahrhundert gebaut wurde. Wieso geht denn der verdammte Tweet mit dem Wahnsinnsfoto nicht durch? Lars hadert.
Mount Bromo: Schweinekälte und den Ellenbogen des Nachbarn in den Rippen
Genauso wie zwei Tage später am Mount Bromo. Dabei hatte er sich so auf den Sonnenaufgang von der Aussichtsplattform am Kraterrand in 2.770 Meter Höhe gefreut. Ein absolutes Muss für einen Traveller wie ihn. Irgendwo einzuordnen zwischen Eiffelturm, Freiheitsstatue, Ayers Rock und Angkor Wat. Doch jetzt steht Lars hier um 4.30 Uhr bei Schweinekälte zusammen mit hunderten anderer Touristen auf der überfüllten Plattform, nachdem alle mit Jeeps dort hochgebracht worden waren. Wie soll man verdammt nochmal geile Fotos schießen, wenn man ständig den Ellbogen des Nachbarn spüren kann und einem die Finger fast einfrieren?
Nur wer ordentlich rempelt, drängelt und schubst, bekommt den besten Blick auf den Gunung Semeru – mit 3676 Metern der höchste Berg von Java – und den riesigen „Sea of Sand“ geboten. Ein eigentlich atemberaubender Moment, wenn denn nur die anderen Menschen nicht wären, deren Köpfe Lars notgedrungen fast auf jedem Foto mit drauf hat. Zurück im Tal die klare Botschaft auf Facebook: „Mount Bromo – eine Riesenenttäuschung.“ Klare Signale an die Follower, dass auf Reisen nicht alles perfekt läuft, sind immer wichtig für die Authentizität.
Was Lars gegen Ende seiner Reise am Ijen ganz im Osten Javas erlebt, sieht er deshalb als Entschädigung an. Mitten in der Nacht geht die Fahrt über eine geführte Tour zum Fuß dieses ganz besonderen Vulkans. Von dort aus marschiert die Gruppe um 2 Uhr rund eineinhalb Stunden bergauf. Oben angekommen führt ein rutschiger Pfad in den Kraterschlund hinunter – und da ist es endlich: das blaue Feuer! Genau genommen sind es Schwefelgase, die sich beim Kontakt mit der Luft entzünden und den Touristen dieses Spektakel bieten. Ein unfassbar beeindruckendes Naturschauspiel, von dem Lars ein Bild nach dem anderen schießt. Das blaue Feuer, das die Nacht erhellt. Da werden sie daheim staunen.
Genauso, wenn er von seiner Begegnung mit den Arbeitern auf dem Ijen erzählen wird. Wie diese Männer unter immenser Beeinträchtigung ihrer Gesundheit Schwefel abbauen, dürfte wohl zu den härtesten Jobs der Welt zählen. Dabei ist der Preis, den sie für den Rohstoff erzielen, geradezu lächerlich im Verhältnis zur Gefahr, der sie sich dabei aussetzen. Wie die Arbeiter den Schwefel in zwei Körben, die an einer Stange über ihrer Schulter hängen, die steilen Kraterwände hinaufschleppen, muss Lars dokumentieren – Mitleid hin oder her.
Über die hektische Metropole Surabaya mit ihren 4 Millionen Einwohnern geht es per Inlandsflug zurück nach Jakarta und von dort nach Deutschland. Den Kopf voller Eindrücke, die mobile WLAN-Festplatte voller Bilder und Videos sitzt Lars im Flieger. Und überlegt sich, was er von seinem Material daheim noch alles aufbereiten und ins Netz stellen kann. Schließlich waren die Posts von unterwegs nur ein kleiner Ausschnitt einer großen Tour. Nach der Landung dann die letzte Amtshandlung. Ein Selfie mit dem Titel: „Nach der Reise ist vor der Reise.“ So viel Zeit muss sein.
Dieser Text stammt aus unserer Reihe „Reisetypen“, in der wir verschiedene fiktive Reisecharaktere und ihre ganz besonderen Eigenheiten vorstellen – gern auch mit einem Augenzwinkern . Welcher Reisetyp bist du? Schreib es uns in den Kommentaren!
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Titelbild: © Depositphotos.com/Panom Bounak
Dorf Mount Bromo: © Depositphotos.com/Panom Bounak
Nationaldenkmal Jakarta: © Depositphotos.com/Milos Kubus
Tangkuban Perahu: © Depositphotos.com/Antoni Halim
Spaziergang Kraterrand: © Depositphotos.com/Galyna Andrushko
Borobodur: © Depositphotos.com/Dmitrii Fadeev
Mount Bromo Landschaft: © Depositphotos.com/Wong Sze Fei
Menschen Mount Bromo: © Depositphotos.com/Norbert Jager
Blaues Feuer Ijen: © Depositphotos.com/Aliaksandr Mazurkevich
Schwefelabbau Ijen: © Depositphotos.com/Andrey Khrobostov