Gefangen im Taifun

Gefangen im Taifun

Es ist drei Uhr in der Nacht und ich sitze im Badezimmer eines Bungalows auf Koh Phangan, einer Insel im Südosten Thailands. Normalerweise ist die Insel bekannt für perfekte Strände und die nicht unumstrittene Full-Moon-Party. An Party und Strand ist momentan nicht zu denken.

Wir sitzen auf dem Badezimmerboden, draußen regnet es in Strömen und ich suche mit der Taschenlampe den Raum nach Spinnen ab. Doch hier im Badezimmer sitzen außer mir lediglich meine Mitreisende Anna und ein ziemlich großer Gecko. Auf der anderen Seite der Badezimmertür allerdings lauert eine fast handtellergroße Spinne.

Doch das Tier ist nicht der wahre Grund, warum wir uns die Nacht im Badezimmer um die Ohren schlagen, sondern ein heftiger Taifun, der über große Teile Thailands und unser Wellblechdach hinwegfegt. Der Sturm bringt die Wände zum Wackeln, Kokosnüsse fallen auf das Dach und wir suchen im einzigen gemauerten Raum etwas Deckung.

Wir haben Angst. Angst davor, dass die Hütte wegfliegt, Palmen oder Kokosnüsse durch das Dach krachen und uns erschlagen.

Und ja, natürlich auch vor der Spinne.

Wir wollten Abenteuer, wir bekamen Abenteuer

Seit drei Wochen sind Anna und ich nun unterwegs. Zuerst Bangkok, dann Vietnam, Nordthailand und nun der Süden. Unsere Reise steht von Anfang an nicht gerade unter einem guten Stern. In der ersten Woche bauen wir direkt einen Rollerunfall auf einer vietnamesischen Insel. Zum Glück kommen wir mit Prellungen und Schürfwunden davon.

Dann ereignet sich die nukleare Katastrophe in Fukushima und nun sitzen wir bei Starkregen und Sturm in einer Bambushütte. Wir wollten Abenteuer, das haben wir davon.

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Schon tagelang war das Wetter etwas ungemütlich. Doch heute Nacht entwickelt sich aus dem Regen und dem Wind ein richtiges Unwetter. Eine heftige Windböe lässt uns aus dem Bett hochschrecken. Uns wird bewusst, dass unsere Hütte mehr zum Abheben als zum Stehenbleiben tendiert.

Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder, wir rennen unter den Palmen den kleinen Weg entlang zur Rezeption und den Besitzern nach draußen. Oder, wir bleiben hier und ziehen den Kopf ein.

Als eine weitere Kokosnuss mit brachialem Knall auf unser Wellblechdach kracht, sind wir schneller aus dem Bett, als wir denken können, krallen die Taschenlampe und verschanzen uns im Badezimmer. Es hat den großen Vorteil, dass aus Stein gemauert ist.

Spinnenphobie trifft Taifun

Als sich nach einer scheinbaren Ewigkeit der Sturm langsam legt, öffnen wir die Tür zum Schlafraum, um endlich ein wenig Ruhe zu finden. Doch als ich den ersten Schritt mache, sehe ich sie vor mir, mit schwarzen angriffslustigen Augen, beigefarbenem Fell und acht behaarten Füßen: die Monsterspinne.

Man könnte meinen, dass eine Nacht voller Angst und ohne Schlaf reichen sollte, um eine Spinnenphobie lahmzulegen, doch Fehlanzeige. Wir beide kapitulieren, Angesicht zu Angesicht mit der bis dato größten Spinne, die ich je gesehen habe und machen einen Schritt rückwärts ins Bad.

Nun sitzen wir als seit fünf Stunden auf dem Boden und warten. Als es langsam hell wird, wagen wir uns heraus. Von der Spinne ist nichts zu sehen. Wir ziehen in einen anderen, hoffentlich spinnenfreien Bungalow um, um ein paar Stunden zu schlafen. Wir legen uns ins Bett und schließen gerade die Augen, als es an der Tür klopft.

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Ein Mitarbeiter erklärt uns, dass der Sturm heute Nacht ein ausgewachsener Taifun war, der große Teile der Küste überschwemmt und verwüstet hat. Wenn wir zeitnah nach Bangkok wollten, um unseren Flug in ein paar Tagen zu erwischen, dann sei es jetzt an der Zeit, unsere Sachen zu packen.

Mit einem winzigen Bötchen durch den reißenden Strom

Fünf Minuten später stehen wir zu zehnt zum Krisengespräch zusammen. Wir müssen nach Thong Sala zum Hafen, quer durch den Dschungel, vom nördlichsten Zipfel in den Süden. Dazwischen ein Bergmassiv, einige Flüsse und steile Wege, die unter normalen Umständen schon schwer befahrbar sind.

Doch bevor es überhaupt auf eine Straße geht, müssen wir noch einen Fluss überqueren. Wir haben ihn als kleines Bächlein kennengelernt. Jetzt präsentiert er sich als reißender Strom, der direkt ins brodelnde Meer führt.

Kein Problem für die einheimischen Jungs, die uns alle, einer nach dem anderen, mit einem winzigen Bötchen und einer Leine waghalsig über den Fluss setzen. Auf der anderen Seite des Flusses wartet schon ein Pickup auf uns und wir quetschen uns zu zehnt mit Rucksäcken auf die Ladefläche. Vorne beim Fahrer sitzen noch einmal drei Personen, inklusive einer hochschwangeren Frau.

Offroad mit Vollgas durch den Dschungel

Der Fahrer, ein junger Kerl von nicht einmal 20 Jahren, drückt aufs Gaspedal und wir machen einen Satz nach vorne. In strömendem Regen geht es über die unbefestigte, vom Regen komplett ausgespülte Straße. Wir klammern uns fest, denn die ausgeschwemmten Stellen verschlingen fast unsere Reifen und das Auto schwankt bedrohlich hin und her.

Wir rasen mit Vollgas die matschigen Wege hoch. Die Kombination aus schlechten Straßen, jugendlichem Übermut und einem gnadenlos überfüllten Auto ist meiner Meinung nach nicht die günstigste. Gut festhalten ist das Einzige, was man machen kann.

Das Gute an einer gnadenlos überfüllten Ladefläche ist, dass niemand Platz zum Herausfallen hat.

Plötzlich machen wir eine Vollbremsung. Mitten auf der Straße liegt eine umgestürzte Palme, die aber im Nullkommanichts aus dem Weg gehievt wird.

Es geht weiter und mein Herz pocht wie verrückt. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie wir umkippen, uns Bäume erschlagen oder die Böschung hinabfallen. Doch plötzlich stoppen wir. Ein Fluss liegt vor uns, so rauschend, dass ein Durchkommen unmöglich ist.

Vor uns stehen schon andere Autos, Männer begutachten die Situation und schnell wird klar: Hier geht es nicht mehr weiter. Wir suchen in einem kleinen Schuppen Unterschlupf vor dem Regen.

Am Tisch sitzen die Fahrer, reichen die Flasche Thaischnaps umher und warten, dass etwas passiert. An der Decke hängt ein Käfig, darin sitzt ein Affe. In der Ecke pirscht sich eine Katze von hinten an ein Küken heran.

Und wir warten.

Der Schuppen füllt sich mit Leuten, die Flasche leert sich, aber im Großen und Ganzen passiert nichts. “Das klären die jetzt unter sich”, meint Kai, der deutsche Besitzer unserer Unterkunft schulterzuckend. Und mit “die” meint er die thailändischen Fahrer, die mittlerweile die zweite Flasche kreisen lassen.

Wenn der Fahrer von der Strömung weggerissen wird

Doch plötzlich erhebt sich die Runde und bleibt am Fluss stehen. Es wird gestikuliert, die Köpfe geschüttelt, mit den Männern auf der anderen Seite gesprochen. Unser Fahrer watet ins Wasser, um zu prüfen, wie tief es ist. Doch plötzlich erfasst ihn die Strömung, er fällt und das Wasser reißt ihn mit sich.

Die Männer schreien, laufen am Fluss entlang, um ihm zu helfen. Frauen weinen. Nach bangen Momenten taucht der junge Mann auf der anderen Seite des Flusses auf. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht winkt er uns zu. Wir atmen auf. Auch wenn wir jetzt keinen Fahrer mehr haben.

Heute geht es hier nicht mehr weiter, das ist klar. Aber es gibt zumindest einen Plan. Die Einheimischen beginnen mit dem Bau einer Brücke, über die man dann zu Fuß auf die andere Seite kommt. Doch das kann dauern.

Kai fährt uns zurück zum nächsten Bungalowdorf auf einer hohen Klippe über dem Meer. Dort zeigt sich das Ausmaß des Sturms.

Das Meer hat gewütet, den kompletten Sand weggespült. Statt Strandidylle warten Müll, ausgerissene Bäume und tote Fische auf uns.

Wir klettern über Glasscherben und Steinbrocken die Treppen hinauf zu den Hütten. Von oben ist der Blick aufs tobende Wasser überwältigend. Eine Naturgewalt, die ich so noch nicht gesehen habe.

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Wir teilen uns zu dritt ein Zimmer, denn auf so viele Menschen ist das kleine Ressort nicht ausgelegt. Wir packen unseren Rucksack aus und ich befürchte bei jedem Handgriff, dass ich die Spinne zwischen den nassen Kleidungsstücken herausfische.

Die nächste Riesenspinne

Die Hütte wurde schon lange nicht mehr genutzt, ist dreckig und an vielen Stellen kaputt. Kakerlaken haben hier Unterschlupf gesucht und krabbeln überall herum, zum Beispiel Anna in die Hosenbeine.

Ich greife nach dem Moskitonetz, um es um das Bett zu hängen und blicke auf ein großes Etwas: Acht Beine, funkelnde Augen, eine Spinne. Schon wieder. Krabbeltiere mögen das nasse Wetter auch nicht. Ganz unemanzipiert rennen wir schreiend aus dem Raum und holen Hilfe.

Ein netter junger Mann versucht das Riesending einzufangen, mit mäßigem Erfolg. Er meint, die Spinne sei in ein Loch im Boden gekrabbelt, was aber nicht schlimm sei, denn von dort käme sie nicht mehr heraus. Die Thailänder sind optimistische Menschen. Etwas skeptisch stopfen wir das Loch mit einem Handtuch zu und verbringen die zweite Nacht mit eingeschalteter Taschenlampe.

Es geht weiter: Entscheidung am Hafen

Es gibt keinen Strom, keinen Handyempfang, keine Kühlung für die Lebensmittel. Am zweiten Tag sind viele Lebensmittel verdorben. Es gibt keine Neuigkeiten, dafür viele Spekulationen. „Das kann dauern. Das letzte Mal saßen wir hier zwei Wochen fest“, heißt es.

Doch am zweiten Tag gibt es Entwarnung. Die Brücke steht und wir können zumindest nach Thong Sala zum Hafen. Über die wackelige Brücke laufen wir auf die andere Seite, wo schon einige Pickups auf uns warten, die uns in die Hafenstadt bringen.

Am Hafen herrscht Trubel, ein Mann schreit in ein Megafon, wir verstehen kein Wort. Wir erfahren, dass aufgrund des Wellengangs seit vier Tagen keine Fähre mehr fahren konnte. Auf der Nachbarinsel Koh Tao wurden die Menschen bereits mit dem Helikopter evakuiert, uns soll nun ein Boot der Marine ans Festland bringen.

Wir erfahren, dass auf dem Boot Platz für rund 200 Menschen sei, am Hafen warten fast 2000. Es wird gedrängelt, als eine Liste die Runde macht, in die man sich eintragen soll, wenn man aufs Boot will. Sicherheitshalber, für die Angehörigen. Unruhe macht sich breit.

Wenn wir unseren Flug in zwei Tagen erreichen wollen, müssen wir auf dieses Boot. Doch auf Massenpanik und Gedränge wollen wir gerne verzichten. Die Verantwortlichen vor Ort machen klar: Nicht jeder kommt auf dieses Boot und die Fahrt wird im besten Fall nur wackelig.

Die Wellen sind beängstigend und wir entscheiden, dass wir bleiben. Später erfahren wir, dass das Rettungsboot niemals am Hafen ankam. Zu stürmisch, zu gefährlich. Keiner konnte an diesem Tag die Insel verlassen.

Warmduscher und Erholungsschlaf

Wir nehmen unseren Rucksack, suchen uns ein Hotel, das uns einen Taifunrabatt gibt, atmen durch, nehmen eine warme Dusche und legen uns ins Bett. Ohne Spinnen, ohne Angst. Erst jetzt merken wir, wie dreckig, durchgefrorenen und angespannt wir waren. Wir schlafen uns alle Sorgen vom Herzen und tanken unsere Akkus auf.

Am späten Nachmittag werden wir wach und nehmen die weitere Planung in die Hand. Zuerst geben wir Lebenszeichen an unsere Eltern zu Hause, die glücklicherweise noch nichts vom Taifun gehört hatten.

In einem Reisebüro bitten wir um Hilfe bei Zwillingsschwestern. Sie sitzen am Schreibtisch, ein Handy an jedem Ohr, Dauerklingeln aus allen Ecken. Wir schildern unser Problem und nach einigen Anrufen erklären sie uns, dass  wir nicht nur kostenlos den Flug umbuchen konnten. Auch das Visum, das zwischenzeitlich abgelaufen war, wird kostenlos verlängert. Wir buchen den schnellsten Weg nach Bangkok, ein Katamaran nach Chumphon, von wo uns ein Bus in die Hauptstadt bringt.

Als wir erleichtert aus dem Büro treten und die Straße überqueren, winkt uns ein Mann zu. Es ist unser Taxifahrer, der beinahe mit dem Fluss davongeschwemmt worden wäre.

Er entschuldigt sich bei uns. Nicht etwa für seinen wahnsinnigen Fahrstil, sondern für das Wetter und dafür, dass wir keinen schönen Strandurlaub machen konnten.

Er meint, wir sollen auf alle Fälle noch einmal kommen. Er lacht, umarmt uns und schon ist er wieder weg. Ich bin perplex und muss lachen. Was Thailand so liebenswert macht, ist der unglaubliche Optimismus der Einheimischen, die Freundlichkeit und das Talent, Dinge einfach positiv zu sehen.

Zwischen Heldenmut und Wahnsinn

Und es ist der Mut, die Selbstlosigkeit, die in Notsituationen ans Licht kommt. Mit einem Lachen im Gesicht riskieren sie ihr Leben; auf ihre eigene Art, die zwischen Heldenmut und Wahnsinn schwankt und die man im ersten Moment nicht  versteht.

Als wir am nächsten Tag auf dem Deck des Katamarans sitzen, sehen wir die Schäden des Sturms. An der Küste sind fast alle Hütten zerstört, Fensterscheiben zerbrochen und Sandstrände weggespült. Wir erfahren, dass große Teile des Schienennetzes kaputt gegangen sind. Viele Menschen verloren im Sturm ihr Leben. Wir hatten großes Glück und nebenbei das Abenteuer unseres Lebens.

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Titelbild: © Unsplash.com
Weitere Bilder: Julia Schattauer