Thomas Breckle ist kein Politiker. Kein Umweltaktivist. Kein notorischer Weltverbesserer und kein Laberer. Er benutzt Nachhaltigkeit nicht als Worthülse und schon gar nicht als Öko-Marketing-Strategie. Nachhaltigkeit ist für ihn ein Lebensprinzip – auch wenn er das Wort nie in den Mund nehmen würde.
Wie Breckle – nach Meinung von Fachleuten einer der besten Hartkäse-Affineure Deutschlands – sein Geschäft führt und betreibt, darf gut und gerne als Musterbeispiel für Nachhaltigkeit herhalten (für guten Geschmack sowieso).
Gehen wir auf Käse-Genussreise mit einem Mann, der sein Leben den riesigen Laibern verschrieben hat. Einem Käse-Verrückten, für den das Beste gerade gut genug ist. Nicht aus Arroganz. Sondern aus Liebe zum Käse, die schon sein ganzes Leben andauert. Zumindest, solange er sich erinnern kann.
Die spannendsten Senner im deutschsprachigen Alpenraum
Thomas Breckle nimmt uns mit auf eine Tour zu einigen der spannendsten Sennern des Allgäus, Österreichs und der Schweiz.
Dabei wird klar, wie sehr er das Prinzip der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen lebt, ja geradezu zelebriert.
Das beginnt schon mit dem grundsätzlichen Anspruch an den Käse, den er kauft, um ihn später in seinem Gewölbekeller teils über mehrere Jahre zu lagern und zu veredeln.
Von kleinen Alp-Sennern aus dem Allgäuer, österreichischen und Schweizer Alpengebiet muss dieser handwerklich hergestellt worden sein – und zwar ohne jegliche Ausnahme aus silagefreier Rohmilch von behornten Kühen. Stolze Tiere sind das, die den Alpsommer in der Regel auf über 1200 Meter Höhe verbringen und deren Milch die ganz besondere Qualität liefert. Dafür zahlt Thomas Breckle den kleinen Sennereien 30 Prozent mehr als auf dem Markt üblich. Und zwar mit Vorkasse, bar auf den Tisch.
Wie der 51-Jährige zu den Sennern kommt, ist genau genommen eine Geschichte für sich. Ausnahmslos mit den Mountainbikes fahren Breckle und sein Geschäftspartner Martin Rößle die oft schwer erreichbaren Alpen an. Rund 300 waren es die vergangenen 20 Jahre (wovon nur rund 20 Alpen die gewünschte Qualität hatten). Allein 2017 brachten es die beiden auf stattliche 30.000 Höhenmeter auf dem Bike.
„Erschnüffeln“ sagt Breckle, wenn sie mal wieder top Ware gefunden haben. Wenn also die beiden Trüffelschweine auf Rädern neuen Rohmilchkäse eingekauft haben, darf das edle Produkt in einem 200 Jahre alten Gewölbekeller mit ganz viel Geduld reifen. Vereinzelt sogar drei bis vier Jahre lang.
Auch hier läuft alles so sparsam und umweltschonend wie nur irgend möglich. In dem alten Eiskeller 10 Meter unter der Erde ist es dunkel und konstant 10 Grad kühl. Kühlung, Heizung, Luftbefeuchtung: Fehlanzeige. Wöchentlich werden die Laibe mit einer Salzlake geschmiert, behutsam mit viel Fingerspitzengefühl gepflegt, gewendet und gereift.
Nirgends eine Spur von Firlefanz
Auch beim Verkauf keine Spur von Firlefanz. Überall Konzentration auf das Wesentliche und Beste. Keine in Folie eingewickelte Ware, kein Versand, kein sinnloser Werbe-Schnickschnack. Die Ware spricht für sich.
Im Ladengeschäft im Zentrum von Kempten, das dreimal die Woche einen halben Tag geöffnet hat. Pur, modern und sehr ästhetisch mit hochwertigen, regionalen Materialien ausgestattet.
Sowie alle zwei Wochen auf drei Märkten in Hamburg (alle Infos dazu auf Breckles Webseite Jamei Laibspeis). Leicht zu finden durch die knallrote Bergbahn-Gondel, die extra zum Verkaufsstand umgebaut wurde und per Joystick steuerbar ist. Dresscode der Verkäufer: barfuß in Holzschuhen, mit kurzer Lederhose und weißem Trachtenhemd.
Die Welt hat besseren Käse als Durchschnitt verdient
Was treibt jemanden an, sein ganzes Leben dem Käse zu widmen? Im Fall von Thomas Breckle steckt ganz viel Berufung in dem Beruf. Schon als kleiner Bub kraxelte er ständig in den Allgäuer Bergen herum. Steckte von jeder Alpe unterwegs ein Stück Käse ein und brachte es mit nach Hause.
Als 15-Jähriger stand für ihn fest: Die Welt hat mehr verdient als soliden Käse-Durchschnitt. „Du musst was Besseres machen, weil die alle so mau sind“, hat sich Breckle damals gesagt.
Doch brauchte es noch ein paar Jahre, bis er als Athlet der deutschen Skilanglauf-Nationalmannschaft bei einem Trainingslager in der Schweiz eine Entdeckung machte: Da gibt es ja tatsächlich noch ganz andere Käse-Qualitäten als zuhause.
In dem Moment stand seine Lebensaufgabe fest. Die besten Rohmilchkäse im Allgäuer, österreichischen und Schweizer Alpenraum finden und sie bestmöglich reifen lassen, um das beste Endprodukt dem Kunden zu präsentieren.
Alpkäse ist nicht gleich Bergkäse
Sind das einfach nur besondere Bergkäse, die in den kleinen Sennereien hergestellt werden und in Breckles Beuteschema passen? Nein, denn hier folgt die wichtigste Unterscheidung: Alpkäse ist nicht gleich Bergkäse. Bergkäse wird das ganze Jahr über produziert – auch im Winter, wenn die Tiere im Stall mit Heu gefüttert werden. Alpkäse dagegen entsteht nur in der „Fünften Jahreszeit“, wie es Breckle nennt. Also in den rund 100 Tagen Alpzeit, ausschließlich von Kühen, Ziegen oder Schafen, die auf der Alpe weiden und deren Milch vor Ort zu Käse verarbeitet wird.
Das eint den Alpkäse, auch wenn die Sorten wie zum Beispiel Sbrinz, Emmentaler, Gryere oder Beaufort vom Geschmack her unterschiedlicher nicht sein könnten. Und je nach den Kräutern vor Ort, die durch den Magen der Tiere gehen, lokalen Herstellungsmethoden und Traditionen glänzt jede Sorte auf jeder Alpe noch mit einer besonderen Note.
Thomas Breckle hat uns verraten, wo sich ein Besuch oder eine Verkostung besonders lohnt.
Tipp: Alpe Helmingen
Wie zum Beispiel auf der Alpe Helmingen, die zur Allgäuer Gemeinde Oberstaufen gehört. Ein Top-Tipp von Breckle, um vor Ort einiges über die Alpkäserei zu lernen. Für ihn ist es „eine der kuriosesten Alpen im Alpengebiet“.
Der Käse wird noch nach ganz alten Traditionen und Richtlinien am offenen Feuer im Schwenkkessel gemacht. Dafür sind sie immer wieder belächelt worden. Weil das doch in unserer modernen Zeit alles einfacher und besser geht. Interessanterweise kehren jetzt vermehrt Senner zu dieser Methode zurück.
Der Besuch der Alpe lässt sich mit verschiedenen Wandermöglichkeiten verbinden. Als Belohnung für den Aufstieg gibt es leckeren Käse zu kosten und vormittags die Möglichkeit, beim Käsen zuzuschauen.
Tipp: Alpe Eschbach
Mit 949 Metern nicht ganz so hoch gelegen (die Weidehöhen reichen bis 1150 Meter), bietet die Alpe Eschbach alles, was das Genießerherz begehrt: traumhafte Landschaft mit super saftigen Wiesen, sehr schöne alte Alpe, bezaubernde Kühe und natürlich feinste Käseware.
Von der Allgäuer Marktgemeinde Oberstdorf aus braucht man rund 2,5 Stunden, die sich lohnen.
Tipp: Alpen Klesenza und Obere Überlud
Die beiden Alpen im hinteren Großen Walsertal (Vorarlberg/Österreich) sind keine klassischen Wirtschaften mit durchgehender Verköstigung. Wer aber bei seiner Wanderung den Weg dorthin gefunden hat, kann ja mal sanft anklopfen, ob es nicht ein Stück zum Probieren gibt.
Breckle ist von Lage und Qualität der Alpen begeistert. Dass sich dort – wie bei den anderen reinen Sennalpen – nicht noch ein durchgängiger Gastrobetrieb findet, ist schnell erklärt. Auf den Alpen arbeiten meist drei, vier oder fünf Menschen oft 16 bis 18 Stunden am Tag nur für den Käse.
Da bleibt weder Zeit noch Energie für die Verköstigung von Wanderern. Der Sommer ist kurz, das Produkt geht vor.
Willi Schmid in Lichtensteig – die Nummer 1 der Käser
Ganz anders bei Willi Schmid im Züricher Oberland. In seinem Laden im Städtlichhäsi gibt es werktags jeden Vormittag seine exzellenten Käse zu probieren und kaufen. Wenn Breckle von dem Schweizer spricht, kommt er aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: „Das ist der innovativste Käser Europas.“
Manchmal nennt er den Mann mit dem Oberlippenbart sogar „einen der größten Käser der Welt“. Weil Willi Schmid so offen für Neues wie kaum ein anderer ist. Weil er immer wieder Dinge ausprobiert, die nach Lehrbuch gar nicht funktionieren dürften. Schmid gibt solange keine Ruhe, bis es funktioniert und er wieder mal einen Käse macht, bei dem alle fragen: „Wie ging das denn?“
Schmid ist kein Älpler, das tut der guten Sache aber keinen Abbruch. Schließlich bringt er sowohl beim Hart- als auch Weichkäse immer wieder erstaunliche Kreationen auf die Ladentheke, mit denen er seine Kunden überrascht.
Breckle musste durch einen langen und zähen Qualifikations-Marathon, bis er dem Schweizer endlich ein paar der begehrten Laibe abkaufen durfte. Inzwischen ist Schmid großer Fan des Allgäuer Affineurs und heckt mit ihm gemeinsam neue Produkte aus.
Die neuen Älpler: jung, stolz, innovativ
Wo geht die Reise beim Alpkäse hin? Bleiben die innovativen Älpler eine ganz kleine Nische oder kommt hier, ähnlich wie beim Craft Beer, richtig Schwung rein?
Breckle ist guter Dinge. Er sieht ähnlich wie in der Weinszene einen Generationswechsel. „Da kommen 22- bis 30-Jährige auf die Alpen mit einem Wahnsinns-Stolz und dem unbedingten Willen, etwas Großes machen zu wollen.“ Die Jungen hätten ganz viel Ehre im Käserblut. Die Wertschätzung für ihr Produkt sei wesentlich höher als die Frage, was es damit zu verdienen gäbe.
Die Frage, die ihm eher gestellt wird, wenn er Ware kaufen will: Wo geht der Käse hin? Die (zumeist) Quereinsteiger seien interessiert, wissbegierig, hungrig und saugten alles auf, womit sie einen spannenden Käse produzieren können.
Damit rückt auch eine Vision näher, die Breckle immer hatte: die Halbwilden auf den Alpen städtischer und die Städter wilder zu machen. Damit die „redefaulen Hunde“ von der Alpe und die Großstädter, die weit weg vom Endprodukt wohnen, sich noch öfter und besser über den geliebten Käse austauschen können.
Weitere Tipps für reisefreudige Käse-Freaks
Cheese Berlin: Am 5. November 2017 dreht sich in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg alles um Käse. Die Käse der Alpen sind diesmal das Schwerpunktthema. Sehr empfehlenswerte Messe mit grandiosen Spezialitäten.
Cheese Bra: Die wichtigste, größte und feinste Käsemesse der Welt, von Slow Food organisiert. Im norditalienischen Bra versammeln sich jedes Jahr Hunderte von Käsemanufakturen, die auf 3.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche den Besuchern ihre Raritäten und exzellente Produkte aus aller Welt vorstellen und verkaufen.
Feinkäserei Edwin Berchtold: In Schwarzenberg (Vorarlberg) stellt die private Kleinkäserei Camembert und Münsterkäse zum Niederknien her. Ein absolutes Muss für Weichkäsefans.
De Gust Affineur: Hansi Baumgartner veredelt im Südtiroler Vahrn besten Rohmilchkäse aus der näheren und weiteren Region. Allein der großartige Weichkäse ist die Anfahrt wert.
Tölzer Kasladen: Eine Institution im oberbayerischen Voralpenland seit mehr als 45 Jahren. Der Affineur Wolfgang Hofmann glänzt besonders stark bei den Weichkäsen.
Fotos © Bernhard Kunze, kunze-fotografie