Der Boom des Kapselkaffees hat längst seinen Zenit überschritten. Die Zeichen stehen auf Filterkaffee, zumindest in den hippen Cafés der Hauptstadt Berlin. Wir begeben uns bei dieser Genussreise durch die Welt des Kaffees auf die Spurensuche von den äthiopischen Wäldern bis an die Tresen Italiens.
Die drei Wellen des Kaffeegenusses
Tröpfchen für Tröpfchen fließt der Kaffee durch eine seltsam anmutende Glaskonstruktion. Es dauert, bis der Cold Drip eine trinkbare Menge ergibt. Im Berliner Café „Chapter One“ lässt man dem Kaffee gerne seine Zeit. Hier gibt es weder WLAN noch gemütliche Cocktailsessel. Hierher kommen die Kaffeefans allein für das Kaffeeerlebnis.
Der Star des Ladens: Der gute alte Filterkaffee. Doch mit der dünnen Brühe, die Oma zum Kuchen reichte und danach in die Thermoskanne zum Warmhalten schüttete, hat der Filterkaffee heute nichts mehr zu tun.
„Cold Brew“ ist das Stichwort der Stunde und der neueste Trend in Sachen Kaffeegenuss. Vollautomaten oder gar Karamell-Sirup sind längst Schnee von gestern. Man spricht von der „Third Wave“ der Kaffeeszene. Hier steht nicht irgendwer am Automaten, hier sind Künstler am Werk wie die Besitzerin des Berliner „Chapter One“, Nora Šmahelová, die schon Barista-Meisterschaften gewonnen hat.
Die Barista verkünsteln sich dabei weniger mit Bildchen im Cappuccino-Schaum. Sie sind Experten, wenn es um Temperaturen oder die „brewing ratio“, das Verhältnis von Wasser zu Kaffee geht, rösten den Kaffee am liebsten selbst und reisen mitunter nach Brasilien, Indonesien oder Äthiopien, um sich selbst von der Qualität der Bohnen zu überzeugen.
Aber Moment, welche Welle überhaupt? Wir reden nicht von der Neuen Deutschen Welle, sondern von der Dritten Kaffeewelle. Man teilt den internationalen Kaffeegenuss in Wellen ein. Die erste Welle fand zwischen 1930 und 1960 statt, als Kaffee vakuumverpackt zum Massenprodukt und Standardware im Supermarkt wurde. Die zweite Welle folgte 1960 bis 1990 und löste den heimischen Filterkaffee ab. Kaffeetrinken außer Haus in Caféketten oder auch to-go etablierte sich.
Die dritte Welle, die sich aus den USA ihren Weg nach Europa bahnte, legt nun Wert auf Qualität der Bohnen, Bedingungen für Menschen und Umwelt beim Anbau sowie fachgerechte Röstung. Es geht um die Verbesserung des ganzen Prozesses von den Anbaugebieten bis zum Kaffeegenuss im Café. Experimentelle Zubereitung, Kaffeeverkostungen, sogenanntes „Cupping“, bei dem man von Körper und Abgang spricht – die neue Welle der Kaffee-Connaisseure meint es ernst. Das ist mehr als Milchkaffee mit Amarettini.
Im Ursprungsland des Kaffees: Äthiopien
Im Gewerbehof des Berliner Stadtteils Wedding befindet sich die Kaffeerösterei des jungen Kaffeeanbieters Coffee Circle. Hier rösten die Jungunternehmer ihre Bohnen, die sie direkt aus Äthiopien importierten. Warum passiert das nicht direkt im Anbauland? Da der geröstete Kaffee schon nach kurzer Zeit den Großteil seines Aromas verliert, würden die gerösteten Bohnen nach rund drei Monaten Seeweg kaum noch Geschmack haben.
Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffees. Es heißt, dass hier in der Region Kaffa bereits im 9. Jahrhundert die belebende Wirkung des Kaffees entdeckt wurde. Eine Hirte soll es gewesen sein, der bei seinen Ziegen eine gesteigerte Aktivität bemerkte, nachdem sie die roten Bohnen gefressen hatten.
Im 14. Jahrhundert kam der Kaffee durch Sklavenhandel nach Arabien. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts etablierte sich die Röstung dort.
In Äthiopien wird Kaffee zumeist in naturbelassenen Waldgärten im Hochland von Hand geerntet. Bis zu 20 Meter wachsen die Kaffeepflanzen in die Höhe. Die Ernte ist ein Kraftakt, garantiert aber beste Qualität, denn nur die reifen Kirschen werden geerntet.
Wie viele der Third-Wave-Coffee-Anbieter reisen auch die Unternehmer von Coffe Circle jährlich zu den Kaffeebauern vor Ort. Der direkte Handel, also ohne zwischengeschaltete Akteure, gibt auch kleinen Anbauregionen, Familienbetrieben und Kooperativen eine Chance. Mit Hilfsprojekten, die sich um sauberes Trinkwasser, Frauenrechte oder Schulbildung kümmern, übernehmen die Anbieter soziale Verantwortung.
Auch wenn Äthiopien den größten Teil seiner Kaffeebohnen exportiert, ist das Kaffeetrinken selbst wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens. Vor allem in den ländlichen Gegenden gehören Kaffeezeremonien, die bis zu dreimal täglich stattfinden, zur Kultur. Bei den Zeremonien geht es um mehr, als den Genuss und Koffein-Schub. Es ist in erster Linie ein soziales Ritual, um das sich die Frau kümmert. Die gewaschenen und getrockneten Bohnen werden über dem offenen Feuer geröstet, pulverisiert und schließlich in eine Kanne mit kochendem Wasser gegeben.
Gleich drei Tassen gehören zu einer Kaffeezeremonie: Eine für den Genuss, eine gegen die Sorgen und die letzte für den Segen. Zum Kaffee isst man in Äthiopien geröstete Körner oder Hülsenfrüchte. Je nach Geschmack wird der Kaffee mit Gewürzen oder Milch aufgekocht.
Der Gigant unter den Kaffeeländern: Brasilien
Auch wenn Äthiopien die Wiege des Kaffees ist, die Nummer eins im Kaffeeexport liegt nicht in Afrika, sondern Südamerika. Nirgendwo wird mehr Kaffee angebaut, als in Brasilien, nämlich über 30 Prozent des weltweit gehandelten Kaffees. Rund 300.000 Kaffeefarmen soll es geben. Statt in Mischwäldern wächst der Kaffee auf Plantagen. Doch der brasilianische Kaffee ist mehr als Massenware. Durch seine Größe und die unterschiedlichen Lagen der Anbauregionen besticht Brasilien durch die Vielfalt seiner Kaffees.
Der Kaffee fand erst im Laufe des 18. Jahrhunderts als Schmuggelware seinen Weg nach Brasilien und wurde schnell zum Erfolg. Was man bei der Menge an Kaffee nicht vermutet: Die Hälfte der Bohnen konsumieren die Brasilianer selbst. Ein Cafezinho gehört zum Alltag dazu, egal, ob bei der Arbeit, zu Hause oder im Café.
In den 1920er-Jahren machte die Kaffeeproduktion in Brasilien noch satte 80 Prozent des weltweiten Kaffeeanbaus aus. Doch die Kultivierung in Ländern entlang des Äquators, dem sogenannten Kaffeegürtel brachte auch andere Länder auf den Markt. So wuchs Vietnam innerhalb kurzer Zeit zum Kaffeeexporteur Nummer zwei. Quantität statt Qualität steht dabei auf den Flaggen der riesigen Kakaoplantagen. Anders in Indonesien.
Garant für Kaffee-Spezialitäten: Indonesien
Indonesien hat sich nicht wegen seiner Menge einen Namen bei Kaffeekennern gemacht, hier geht es weit exklusiver zu. So hat der teuerste und kurioseste Kaffee hier seinen Ursprung. Es handelt sich um den Kopi Luwak oder auch „Katzenkaffee“.
Zibetkatzen essen die Kaffeekirschen, die im Darm fermentiert werden. Aus den ausgeschiedenen Bohnen wird dann der Kaffee gebrüht, der besonders würzig, aber frei von Bitterstoffen ist. Nur rund 230 kg gibt es davon pro Jahr. Wer etwas davon abbekommen will, der muss tief in die Tasche greifen. Das Kilo kostet um die 600 Euro.
Doch der indonesische Kaffeeanbau hat mehr zu bieten als den Katzenkaffee. Denn auch wenn Indonesien als EIN Anbaugebiet gezählt wird: Die über 17.000 Inseln sind so vielfältig wie auch der Kaffee, der dort angebaut wird. Berühmt ist der Arabica-Kaffee, der auch als Java-Bohne bekannt ist und auf der gleichnamigen Insel wächst.
Ein Geheimtipp ist der Kaffee in Sumatra, der mit der einzigartigen „Giling-Basah-Methode“ bearbeitet wird. Hierbei werden die Kaffeekirschen nicht zuerst getrocknet, sondern nass geschält. Diese Methode führt zu einem ganz eigenen, besonders holzigen Geschmack, den man entweder liebt oder ziemlich scheußlich findet.
Auch wenn Indonesien als ein Kaffeeanbaugebiet zusammengefasst wird, gibt es in den einzelnen Regionen wie Sumatra, Sulawesi, Java, Bali, Flores und Papua einige Besonderheiten. Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurde Kaffee aus Java in Europa verkauft. Damals waren es vor allem Arabica-Bohnen, heute ist Indonesien nach Vietnam das größte Exportland für Robusta-Bohnen.
Zwischen Quantität und Qualität: Kaffeekultur in Europa
Deutschland ist mit jährlich gut einer Millionen Tonnen Europas größer Kaffeeimporteur. Mondelez, einer der größten Kaffeeröster der Welt, unterhält in Berlin die größte Kaffeerösterei. Doch es sind nicht die Deutschen, die mit 2,6 Tassen pro Tag den höchsten Kaffeekonsum an den Tag legen, sondern die Finnen. Ganze 4,1 Tassen trinken sie jeden Tag.
Kein Wunder, schließlich muss man sich im hohen Norden irgendwie wärmen und an den dunklen Tagen wachhalten. Da gibt es gleich zum Frühstück mehrere Tassen, in der Kaffeepause im Büro gilt er als Eisbrecher für Gespräche. Gleich zwei solcher “Kaffepaussi“ stehen jedem Arbeitnehmer während seines Arbeitstages zu.
Am Rest des Tages ist der Kaffee eine kleine Stärkung zwischendurch, die Belohnung nach einem arbeitsreichen Tag, das übliche Begrüßungsritual beim Besuch bei Freunden oder Familie. Dazu gibt es etwa Süßes, ein bisschen Schokolade oder Gebäck.
Wenn die Finnen so viel Kaffee trinken, wieso ist der finnische Kaffee keinem außerhalb Finnland ein Begriff? Wer an europäische Kaffeekultur denkt, der denkt an Wiener Kaffeehäuser und italienische Crema. Bringen wir es auf den Punkt: Der finnische Kaffee ist nicht sonderlich gut.
Statt Cappuccino oder Latte macchiato trinken die meisten Finnen ihren Filterkaffee, gebraut aus der Kaffeemaschine im Büro oder in der eigenen Küche. Er besteht häufig aus hell gerösteten Bohnen, die viel günstiger und weniger aromatisch sind. Doch auch in Finnland macht sich die „Dritte Welle“ langsam breit. Immer mehr Finnen wollen ihren Fokus nicht mehr auf die Menge, sondern die Qualität legen.
In Italien trinkt man am Tresen
Um Kaffeetrends hat sich das wohl tradtionsreichste Land in Sachen Kaffeekultur nie gekümmert: Italien. Seit jeher trinkt man hier seinen Caffè direkt am Tresen. Auch wenn es so schön italienisch klingt, Espresso bestellt hier niemand. Der einfache Caffè ist das Pendant und den trinkt man nach Lust und Laune den ganzen Tag.
Erfunden wurde der kleine, unter hohem Druck und mit dunklen, aromatischen Bohnen zubereitete Kaffee in Mailand. Wer ihn mit Milchschaum will, bestellt einen Caffè macchiato, nicht zu verwechseln mit dem großen Latte macchiato.
Alles was mit Milch gemischt ist, wie Cappuccino, trinken die Italiener nur am Morgen, am liebsten mit einem Cornetto, einen süßen Hörnchen. Filterkaffee sucht man in Italien hingegen meist vergeblich. Das als „Caffè tedesco“ verspottete Gebräu ist den Touristen vorbehalten. Am ehesten trinkt man dann noch einen Americano oder einen Lungo, bei denen der kleine Caffè mit Wasser gemischt wird.
Kaffee ist nicht nur Teil der italienischen Kultur, sondern auch der Politik. So entscheidet eine Kaffeerichtline über den Höchstpreis des Caffè al banco, den Kaffee, den man am Tresen bestellt. Die genauen Preise sind jedoch von der Region abhängig, wobei sie maximal 1 Euro betragen.
Ganz anders die Preise am Tisch, bei denen der Wirt selbst entscheiden darf, welchen „Servicezuschlag“ er verlangt. In Venedig gerne mal bis zu sechs Euro.
Also nimmt man sich am besten ein Vorbild am Italiener: Den Caffè trinkt man ganz einfach am Tresen.
Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphotos.com/Pablo Hidalgo
Kaffeebohnen am Baum: © Depositphotos.com/Dmitry Burlakov
Zeremonie Äthiopien: © Depositphotos.com/Cameron Whitman
Ernte in Brasilien: © Depositphotos.com/Alfredo Ribeiro
Kaffeerösten in Indonesien: © Depositphotos.com/Stevica Mrdja
Finnland: © Depositphotos.com/Patrik Vachalík
Espresso: © Depositphotos.com/Tomas Rebro