Warschau? Selbst bei Polen schwingt die Skepsis mit, wenn die Hauptstadt ins Gespräch kommt. Vielleicht doch lieber Krakau oder Danzig? Da ist es schön!
Warschau klingt nach sozialistischen Ruinen, Staus und wenig Flair. Bei den Polen gelten die Hauptstädter als arrogant. Nach Warschau geht man für die Karriere, Erfolg und Geld. Für Urlaub eher nicht.
Doch wer einmal dort war, weiß: Warschau ist spannend, aufstrebend und eine der europäischen Städte, die gnadenlos unterschätzt werden.
Warschau befindet sich im Umbruch, ist der Trendsetter unter den polnischen Städten. Eine Stadt voller Kontraste, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wir begeben uns auf Spurensuche und beweisen: Warschau kann was!
Eine Stadt voller Kontraste
Lange Zeit war der Kulturpalast das prominenteste Gebäude der Stadt. Mittlerweile ist er umringt von unzähligen Bürogebäuden, Hochhäusern und Shoppingmalls. Warschaus Skyline hat sich rasant verändert.
Mittlerweile zählt Warschau zu den zehn Städten mit der höchsten Wolkenkratzerdichte in Europa.
Es ist nicht unbedingt die Schönheit der Stadt, es sind die Kontraste, die Warschau so interessant machen. Zuckerbäckerstil neben Norman Foster.
Doch es gibt sie auch, die malerischen Gassen, prunkvollen Fassaden der Kaufmannshäuser. Doch alt ist keines der Altstadthäuser. Nach dem Warschauer Aufstand zerstörten die deutschen Besatzer rund 90 Prozent der Stadt.
Die gesamte Altstadt, das Königsschloss, die Kirchen, Theater und Bibliotheken wurden neu aufgebaut. Hier befinden sich nun Restaurants, Galerien, Juweliergeschäfte und zahlreiche Souvenirläden. Droschkenfahrer kutschieren Touristen durch die Gegend, Straßenmusiker und Karikaturisten bespaßen die Besucher.
Warschau ist nicht mehr nur Warschauer Ghetto
Warschau, das war für Touristen lange Zeit ein Ort für Geschichte, Schulausflüge zu den Gedenkstätten. Warschau war lange gleichbedeutend mit dem Warschauer Ghetto.
Vom Ghetto übrig geblieben ist nur der jüdische Friedhof mit seinen riesenhaften Dimensionen. Das „Muzeum Historii Żydów Polskich“ gewährt tiefgehende Eindrücke in das Leben der Juden.
Vor dem Eingang befindet sich das Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos. Der Ort, an dem Willy Brandt 1970 bei einer Kranzniederlegung auf die Knie fiel, statt nur stehend zu verharren.
Doch der Tourismus ändert sich. Warschau will mehr als Geschichte sein. Der Weg führt nach vorne. Spätestens seit der Fußball-EM ist Warschau auch ein Ziel für Städtetrips. Und das merkt man: Sushi Bars, Clubs und Cafés sorgen für hippes Szenegefühl.
Kultur in Warschau: Zwischen Chopin und Kellerbar
„Warszawa“ hat ein blühendes Kulturleben. Der wohl berühmteste Kopf der Stadt ist Fryderyk Chopin, der die ersten 20 Jahre seines Lebens in Warschau verbrachte. Wohnorte, wichtige Stationen seines Lebens, all das lässt sich beim Spaziergang durch die Stadt erfahren.
Doch Warschau hat noch mehr zu bieten. Theater, die Philharmonie und vor allem die Nationaloper sind Schmuckstücke der Stadt.
Im Sommer locken viele kostenlose Freiluftevents, wie der Summer Jazz in der Altstadt oder klassische Konzerte im Łazienki-Park oder auf Schloss Wilanów.
Für Kunstfreunde ist die Galeria Zachęta einen Besuch wert. Die größte und vielleicht bekannteste Galerie Polens zeigt Ausstellungen von internationalem Rang, Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec oder Pablo Picasso. In die Schlagzeilen geriet die Galerie 1922, als hier Gabriel Narutowicz, der erste Präsident der Republik Polen, ermordet wurde.
Was in den Galerien, Konzertsälen und Bühnen der Stadt auffällt: Das Publikum ist jung. Doch die kulturbegeisterte Jugend weiß auch zu feiern.
Kein Wunder, dass sich einer der beliebtesten Clubs direkt im Keller des Nationaltheaters befindet. Im Opera Club kann man inmitten der Warschauer Highsociety die Nacht zum Tag machen. Vorausgesetzt, man kommt am Türsteher vorbei. Tagsüber heißt es in einem der vielen Cafés: Entspannen, Kaffee trinken, Leute treffen, bevor es dann weiter in die Kneipen geht, die sich über die gesamte Stadt verteilen.
Buntes WaWa: In-Viertel Praga
„WaWa“, wie die Bewohner ihre Stadt liebevoll nennen, erblüht zum Leben, wenn die Sonne scheint. An der Weichsel, die die Stadt in zwei Teile teilt, etabliert sich seit einigen Jahren ein neue Lebensfreude.
Lange Zeit war die Weichsel eine Art Mauer, sie teilte die Stadt in die „gute“ und „schlechte“ Seite. Auf der teils baufälligen Promenade tummeln sich heute Radfahrer, Spaziergänger, Jogger und Skater. Besonderes Highlight ist der lange Strand, der in der Sommersaison mit Liegestühlen, Beachvolleyball und DJs für Urlaubsstimmung sorgt.
Die Weichsel wird zur Lebensader für Erholungssuchende und Jugendliche, die das Ufer zum Open-Air-Club machen. Spätestens seit der Fertigstellung des Nationalstadions für die EM 2012 am rechten Weichselufer, ist auch das urbane Leben am Fluss angekommen.
Doch das Leben spielt sich vor allem hinter dem Stadion ab. Im Stadtteil Praga, zwischen alten Industrieanlagen, hat sich eine ganz eigene Kultur entwickelt. Dieser Teil der Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen verschont, weshalb hier noch die meisten Altbauten der Stadt zu finden sind, teilweise marode, manche neu restauriert.
Mit dem Bau des Stadions änderte sich die Gegend. Auf dem Gelände stand früher der berühmt berüchtigte „Jahrmarkt Europas“: Mit dem Fall des Kommunismus begann für die Polen 1989 die freie Marktwirtschaft.
Auf dem Basar konnte man endlich alles kaufen, was es vorher nicht gab. Doch der Markt war auch ein Moloch für Drogen, Sex und Schmuggel.
Seit dem Abriss des Marktes und dem Neubau des Stadions entwickelt sich Praga in eine andere Richtung. Heute leben hier die jungen Wilden. Es geht alternativ, zuweilen etwas schräg zu, seit hier Künstler erschwingliche Ateliers fanden und den Stadtteil nach und nach zum In-Viertel machten.
Hip, bunt, kreativ: Das Berlin Polens
Heute ist Praga ein faszinierender Stadtteil mit Galerien, Clubs und Kulturzentren. Die alten Industriegebäude wurden zu Kulturorten mit besonderem Charme. Spätestens hier merkt man, dass Warschau Potential zur Trendstadt hat. Hip, bunt, kreativ: Nicht ohne Grund sprechen manche vom Berlin Polens.
Wer aber trotz schicker Restaurants und angesagten Cafés Lust auf ein bisschen Ostalgie im Kochtopf hat, der sollte eine der Milchbars aufsuchen. Als Relikt aus dem Sozialismus wird hier günstige und gute Hausmannskost aufgetischt. Ohne viel Schnickschnack, dafür mit umso mehr Herzblut, gibt es dort Barszcz, die typische Rote-Beete-Suppe, Spiegeleier, oder Grütze.
Wer der polnischen Sprache nicht mächtig ist, der muss sich sowieso auf ein Abenteuer einlassen, denn nach englischen Speisekarten sucht man in den Lieblingsbars der Einheimischen vergeblich.
Anreise:
Warschau ist von Berlin aus problemlos mit der Bahn erreichbar. Mehrmals täglich verkehrt der Berlin-Warszawa-Express in fünf Stunden unterwegs zwischen den Städten. Auch zahlreiche Busse verkehren zwischen Deutschland und der polnischen Hauptstadt.
Bildnachweis:
Titelbild: © Depositphoto /Adam Korzeniewski
Warschau bei Nacht: © Depositphoto/fotorince74
Altstadt: © Depositphoto /Marek Uszynski
Jüdischer Friedhof: © Depositphoto /Jacek Kadaj
Lazienki Park: © Depositphoto /Artur Bogacki
Luftbild Weichsel: © Depositphoto /Mark Wilson