Mit den Augen der Anderen: Besondere Stadtführungen in Berlin

Brandenburger Tor, Unter den Linden, Alexanderplatz. Wer eine Stadtführung durch Berlin macht, kommt an diesen Orten nicht vorbei. Das Standardprogramm haken die meisten beim ersten Besuch ab, doch Berlin hat so viel mehr zu bieten als seine Top-Ten.

Brandenburger Tor
Darf’s ein bisschen mehr als Brandenburger Tor sein? Berlin bietet viele besondere Stadtführungen.

Wer besondere Touren durch Berlin machen will, findet eine große Auswahl. Berliner Mauer, Untergrund oder Street-Art sind nur ein ein paar Beispiele für besonderen Stadttouren. Wir wollen aber mehr als uns Sehenswürdigkeiten anschauen, wir wollen die Stadt aus einem besonderen Blickwinkel erleben. Was ist eindrücklicher als Geschichten von Anwohnern oder Zeitzeugen zu hören und ihnen auf eine Tour durch ihr Berlin zu folgen? Wie sehen zum Beispiel Jugendliche, Obdachlose oder Flüchtlinge ihre Stadt?

Bei Stadtführungen mit besonderen Guides gibt es Erlebnisse aus erster Hand. Wir haben eine Auswahl an Berlintouren mit ganz besonderem Blickwinkel, bei denen man mehr mitnimmt als ein Foto von der Weltzeituhr. Hier sind unsere Vorschläge.

Stadtführungen aus der Sicht von Obdachlosen

Wir laufen durch die Straßen auf dem Weg zum Restaurant, zum Hotel oder der nächsten Bar. In den Straßen haben wir Augen für Schaufenster oder Werbeplakate, den Rest blenden wir gerne aus. Die Berliner Straßen sind für rund 6000 Menschen mehr als der Weg zu einem Ziel, sie sind ihr Zuhause.

Obdachlose müssen sich in Berlin jeden Tag aufs Neue ihren Schlafplatz suchen, müssen ums Überleben kämpfen und das zwischen Touristen und Anwohnern. Hinschauen, statt wegsehen, das ist das Motto der Stadtführungen von „querstadtein“. Ehemalige Obdachlose zeigen, wie und wo man ohne festen Wohnsitz in Berlin lebt und berichten aus ihrem Leben auf der Straße.

Die Führungen versprechen neue Blick auf Orte, an denen man sonst einfach vorbei läuft, die man lieber meidet, statt sich dort aufzuhalten. Es sind Lebensgeschichten mit vielen Tiefs und letztlich doch mit glücklichem Ende, denn die Protagonisten der Touren haben es geschafft, von der Straße zu kommen. Viele andere schaffen das nicht.

Berlin Bahnhof Zoo
Nicht schön, aber berühmt: der Bahnhof Zoo.

„Querstadtein“ bietet verschiedene Touren mit ehemaligen Obdachlosen durch Mitte oder an berüchtigte Orte wie den Bahnhof Zoo in der City-West an. Neben der Aufklärungsarbeit zum Thema Obdachlosigkeit stehen die besonderen Schicksale der Stadtführer im Mittelpunkt. Dieter Bichler geht bei seiner Tour vom Bahnhof Zoo zum Stuttgarter Platz und erzählt von ehemalige Schlaforten, Freundschaften und dem Problem der Verdrängung aus dem öffentlichen Raum.

Die Tour „Obdachlos auf schicken Straßen – Stadtrundgang durch die City-West“ mit Dieter Bichler dauert rund zwei Stunden und kostet ab 6,50 pro Ticket.

querstadtein.org

Neue Heimat – Geflüchtete zeigen ihr Berlin

Eine kräftezehrende und gefährliche Flucht aus der Heimat, die Ankunft in einem neuen Land, Sprachbarrieren. Wer kann besser erklären, wie es ist, aus einem Land zu flüchten und in einem neuen heimisch zu werden, als Geflüchtete selbst? Wo in den Debatten rund um Integration und Obergrenze Flüchtlinge selbst nur selten zu Wort kommen, haben sie in dieser Stadtführung die Chance, von ihrem Berlin und ihren Erlebnissen zu berichten.

Hamdi Kassar ist einer der Stadtführer, der Touristen durch seine neue Heimat Neukölln führt. In seiner alten Heimat Syrien war er Fernsehmoderator. Der Beruf war es, der das Leben in Damaskus zu gefährlich machte und ihn zu einer Flucht nach Deutschland zwang. Seit 2015 ist er hier, seit 2016 zeigt er den Teilnehmern seiner Tour nicht nur Orte in Neukölln, sondern auf einer Karte auch seine Flucht nach Berlin. Er erzählt von der schwierigen Reise und seiner Ankunft. Spannend ist auch die Sicht des Syrers auf Berlins Multikulti-Stadtteil Neukölln.

Syrisches Essen, syrischer Frisör und Landsmänner auf der Straße lassen ihn manchmal vergessen, dass er in Berlin ist. Wäre da nicht seine Familie, die noch immer in der Heimat auf ihn wartet.

Das vielleicht Wertvollste an den Touren mit Flüchtlingen ist, dass man ins Gespräch kommt. Es gibt die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Einblicke aus erster Hand zu bekommen. In Kontakt kommen, miteinander reden und Erfahrungen und Ängste teilen, das ist wichtiger Teil der Integration.

Die Touren dauernd ca. zwei Stunden und finden auf deutsch und englisch statt. Sie kosten ab 6,50 Euro pro Person.

querstadtein.org

Stadtführungen durch die Queere Szene in Berlin-Schöneberg

Schillernd und bunt, das passt zu Berlin. Kein Wunder, dass sich in der Hauptstadt früh eine Schwulen- und Lesbenszene etablierte, die heute zur größten Deutschlands gehört. Und mehr noch: Berlin gehört zu einer der spannendsten Städte der Gay-Szene weltweit und lockt daher viele Besucher an.

Schwule-lesbische Orte gibt es in ganz Berlin, der Anfang für die queerfreundliche Szene wurde allerdings in Schöneberg gemacht und dahin führt diese besondere Stadttour. Im Regenbogenkiez Schöneberg, rund um den Nollendorfplatz, siedelten sich bereits 1921 Bars und Clubs der Schwulenszene an. Einige davon gibt es heute noch. Auch bei den neuen Bars gibt es kaum eine, in der keine Regenbogenfahne zu sehen ist.

Berlin schwul
Schillernd, bunt und schwul: Das passt zu Berlin.

Bei der Stadtführung von „Sonderweg Berlin“ geht es von den Anfängen der homosexuellen Szene bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. In den 1920er Jahren tobte in der Hauptstadt das queere Nachtleben. Künstler, Schauspieler und Kreative fühlten sich hier pudelwohl.

Diese schillernde Lebensweise fand eine jähes Ende mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Rund 50.000 Homosexuelle wurden in Konzentrationslager deportiert.  Mit Tobias Schwabe führt die Spurensuche am Nollendorfplatz zu den Anfängen der Szene und mitten rein ins schwul-lesbische Viertel von Berlin. Geschmückt mit Anekdote ist die Tour kurzweilig und mit viel Insiderwissen gespickt.

Die Führung dauert zwischen zwei und drei Stunden und kostet ab 15 Euro.

sonderweg-berlin.de

Problembezirke aus der Sicht von Jugendlichen

Problembezirk und Hipster-Magnet – Neukölln hat viele Gesichter und ist mitten im Wandel. Man spricht von der arabischsten Straße Berlin, der Sonnenallee, der berüchtigten Rütli-Schule, der höchsten Kneipendichte der Stadt und steigenden Mietpreisen. All das macht Neukölln zu einem der interessantesten Stadtteile Berlins und doch ist es selten Programm von Stadtführungen.

Einen besonderen Blickwinkel zeigen die Führungen vom Verein „Kultur bewegt“, der in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung Führungen aus der Sicht von Jugendlichen anbieten. Die „Route 44“ führt durch Neukölln und zeigt den Multikulti-Kiez im Wandel und als Lebensmittelpunkt von Jugendlichen.

Moschee Berlin
Der Spagat zwischen Moschee und Coacktailbar. Wie leben ausländische Jugendliche in Berlin?

Es geht um den Spagat zwischen Moschee, Cocktailbar und Ein-Euro-Läden, den Alltag von zwei jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Sie zeigen dabei mehr als nur Orte, sie erzählen aus ihrem Alltag, den Problemen und schönen Dingen, die sie in Neukölln erleben. Wichtige Stationen sind die Imam-Riza-Moschee, die Flughafenstraße und die Albert-Schweizer-Schule.

Die Tour dauert ca. eineinhalb Stunden, die Preise variieren und können angefragt werden

www.jugendtouren-berlin.de

Stadtführungen zu Jüdischem Leben in Berlin

Das Judentum gehörte von Beginn an zu Berlin. Bereits kurz nach der Gründung der beiden Städte Berlin und Cölln im späten 12. Jahrhundert waren jüdische Händler ansässig. Im Berliner Scheunenviertel geht es auf die Suche nach den jüdischen Spuren, dann weiter zur eindrucksvollen Neue Synagoge, die das Stadtbild an der Oranienburger Straße bis heute maßgeblich prägt.

Das jüdische Leben zur Stadtgründung, während des Holocaust und nach der NS-Verfolgung sind die Hauptthemen der Stadtführungen in Berlin. Die Verfolgung seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nehmen den thematischen Schwerpunkt der Touren ein. So dürfen das Denkmal für die ermordeten Juden und der Ort, an dem sich Juden im Dritten Reich zur Deportation versammelten, nicht fehlen.

Neue Synagoge an der Oranienburger Straße
Die neue Synagoge prägt das Stadtbild an der Oranienburger Straße maßgeblich.

Das Jüdische Museum von Architekt Daniel Libeskind ist ein Symbol für die wichtige Rolle, die die Juden im Berliner Leben von Beginn an spielten. Das größte jüdische Museum Europas zeigt einen Überblick über 1700 Jahre Judentum und besticht mit einer außergewöhnlichen Architektur und interessanten Ausstellungen. Je nach Interessen können verschiedene Schwerpunkte bei den von Humboldt-Tours angebotenen Stadtführungen gelegt werden. Lizenzierte und auf Wunsch jüdische Guides präsentieren fundiertes Wissen bei dieser besonderen Tour durch die Hauptstadt.

Die Touren dauern je nach Schwerpunkt zwischen drei und acht Stunden und kosten für eine Gruppe bis zwölf Personen ab 220 Euro.

www.humboldtoursberlin.com

Stasi-Gefängnis: Zeitzeugen berichten

Zuerst sowjetisches Gefängnis, dann Untersuchungshaftanstalt der Stasi – Die heutige Gedenkstätte Hohenschönhausen hat eine dunkle Vergangenheit. Heute führen Historiker und ehemalige Insassen durch die Räume und klären auf, was hier hinter verschlossenen Türen geschehen ist.

Tragische Lebensgeschichten und das fast unglaubliche Unrechtssystem der DDR stehen dabei im Mittelpunkt. Die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen war damals mittendrin in einem militärischen Sperrgebiet. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden hier Menschen eingesperrt und gefoltert. Zeitzeugen berichten von menschenunwürdigen Umständen und Methoden.

Berlin Gedenkstätte Hohenschönhausen Stasi

Wer an einer Führung in Hohenschönhausen teilnimmt, der bekommt Dinge aus erster Hand zu hören, die man sich eigentlich nicht vorstellen will. Wer diese Geschichten aus dem Mund der Opfer hört, nimmt viel mehr mit, als wenn man sie lesen oder von einer unbeteiligten Person hören würde. Es ist diese Unmittelbarkeit, die die Führungen so intensiv und besonders machen.

Eines ist sicher, so schnell vergisst man eine der Führungen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen nicht und genau das zeigt, dass die Verantwortlichen hier alles richtig machen.

Die Führungen dauern 90 Minuten und kosten 6 Euro. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

www.stiftung-hsh.de

Bildnachweis:
Titelbild und Brandenburger Tor: Unsplash.com
Bahnhof Zoo: © Depositphotos.com/Joerg Hackemann
Schwul und bunt: © Depositphotos.com/Sergey Kohl
Moschee: © Depositphotos.com/Jens Knappe
Synagoge: © Depositphotos.com/Paolo Querci
Hohenschönhausen: © Depositphotos.com/Matyas Rehak