Kolumne Meine ReiseZutaten Essen

Kolumne Essen: Stockfisch statt Futtern wie bei Muttern 

In der Kolumne „Meine ReiseZutaten“ philosophieren wir über Gott und die Reisewelt. Genauer gesagt hauptsächlich über die Reisewelt und alles, was dazu gehört. Welche guten Zutaten braucht eine Reise? Was versalzt uns gerne mal die Reise-Suppe? Was lässt uns vor Hochgenuss jubilieren? Und wann denken wir: „Wer bitteschön hat denn DAS bestellt?“ Immer gewürzt mit einer Prise schwarzen Humors und politischer Unkorrektheit. In Folge 2 dreht sich heute passend zum Titel der Kolumne alles ums Essen.

Meine ReiseZutaten (2): Essen

Ich habe es meiner Mutter nicht erzählt. Genau genommen habe ich ihr gar nichts von meiner ersten Auslandsreise mit drei Freunden 1990 nach Callela erzählt (ja genau: Partyort an der Costa Brava, Risiken und Nebenwirkungen bekannt). Von den vielen Dingen spätjugendlichen Übermuts, über die im Lauf der Zeit ein zartes Tüchlein des Schweigens gehüllt wird.

Eine Tat davon betrachte ich im Nachhinein als Hochverrat an meiner Mutter, einer hervorragenden Köchin. „Futtern wie bei Muttern“ stand auf dem großen Schild – und wir Bubis, die sich schon für richtig erwachsen hielten, dachten, das sei ein Qualitätsmerkmal.

So viel Qualität, wie Mikrowellen-Cordon Bleus, Kartoffelsalat aus dem 20-Liter-Eimer und Fertigsoße mit rund 17 Zusatzstoffen nun mal so bieten.

Zu behaupten, dadurch habe sich meine Einstellung zu gastronomischen Ausflügen auf Reisen schlagartig geändert, wäre glatt gelogen. Vor dem großen Erwachen mussten erst noch eine Reihe labbriger Burger, triefender Kebabs und überteuerter Pizzas verdaut werden. Was gibt es auch Schöneres, als überall auf der Welt den gleichen Fraß vorgesetzt zu bekommen? Bitte nur keine Experimente, keine Überraschungen!

Unterschätze mir keiner die Gefahren einer Begegnung mit lokalen Esskulturen. Allein schon die Sprache der Kellner, die undefinierbaren Begriffe auf der Speisekarte und auch noch die Frage nach dem Trinkgeld.

Nein, dann lieber wie immer Schnitzel, Spaghetti und Pizza von der siebensprachigen Speisekarte. Ein Albtraum!

Ich brauche kein Meeresrauschen, keine spektakulären Panoramablicke, keine alten Klosteranlagen, noch nicht einmal Sonne. Nur diesen Moment, wenn La Mamma aus der Küche spaziert und voller Stolz die selbst gemachte Pasta mit diesem unfassbaren Sugo serviert. Dieses zartweiche Steak vom Maremma-Rind nebst Bohnen-Dreierlei. Der Brotsalat mit sonnengereiften Tomaten und heimischem Olivenöl. Der 12 Monate lang gereifte Pecorino. Oder die süße Kalorienbombe nach Art des Hauses, bevor der erlösende Espresso das sofortige Platzen verhindert. Ein Traum!

Erst das Eintauchen in die heimische Gastronomie der bereisten Länder macht eine Reise zu einer guten Reise.

Oder aus einem netten Urlaub ein großartiges Gesamtkunstwerk. Nirgendwo sonst lassen sich fremde Länder so einfach riechen, spüren, fühlen, schmecken.

Genau genommen kann man ein bereistes Land und seine Einwohner erst verstehen, wenn man sich mit seinem Essen auseinander gesetzt hat. Völlig egal, ob im Restaurant, in der Garküche auf dem belebten Platz, in der Supermarkt-Ecke mit dem stinkenden Stockfisch, auf den bunten Märkten mit den betörenden Gerüchen, am Fischstand direkt am Meer oder beim Spanferkel-Dreher am kroatischen Straßenrand.

Inzwischen sehe ich es als oberste Reisepflicht, mich über gutes, lokales Essen zu informieren. Noch bevor ich einen Gedanken an Strände, Ausflüge oder den Wetterbericht verschwendet habe.

Denn Essen ist Leben. Essen ist Gemeinschaft. Essen ist Zeit nehmen. Und Essen ist nicht das undefinierbare Stück Fischfilet im überteuerten Strandrestaurant mit Sonnenuntergangsblick nebst Matschkartoffeln.

Fast alle meiner lang anhaltenden Reiseerinnerungen hängen unmittelbar mit dem Essen zusammen. Austernschlürfen in Bordeaux, Ein-Mann-BBQ mit Entrecote heimischer Weidetiere auf der Isle of Islay, scharfe Kutteln in der Toskana, frisch vor meinen Augen zubereiteter Heringssalat in der Markthalle Stockholms, intensiv nach Vanille duftende und schmeckende Törtchen Pastéis de Belém in Lissabon, gegrillte Sardinen auf einem Campingplatz der Insel Krk, Reibekuchen in Aachen, Ratatouille in der Provence, belegte Schwarzbrot-Schnitten auf einem Rastplatz in Estland.

Stopp jetzt, sonst überfalle ich auf der Stelle einen Feinkostladen.

Und dann gibt es ja noch die anderen Erinnerungen. Aus Zeiten, in denen ich überbordende All-inclusive-Buffets und gammlige Pizzerien noch für eine akzeptable Art der Reiseernährung hielt. Ja, hiermit beichte ich viele kulinarischen Sünden. Irgendwann muss alles mal raus. So wie damals, kurz nach dem Futtern wie bei Muttern …

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